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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Fuß Höhe. In Wirklichkeit war es der kleine Jakob, mit nackten Beinen, in einen großen Schal gewickelt. Niemand kennt die Wahrheit; alle Welt schließt auf irgendeine Hinterlist, und alles dies nur infolge der Schlauheit des Vertreters von Herrn Braß.
    Dann kommen die Leumundszeugen, und auch hier tut sich Braß' Anwalt hervor. Es stellt sich heraus, daß Herr Garland durchaus kein Zeugnis über Kit gehabt hat, daß dieser ihm bloß durch seine Mutter empfohlen und daß er aus unbekannten Gründen plötzlich aus den Diensten seines früheren Herrn entlassen worden war.
    »Wahrhaftig, Herr Garland«, sagte der Vertreter des Klägers, »für einen Mann in Ihren Lebensjahren sind Sie, milde gesagt, höchst unvorsichtig nach meiner Meinung.« Die Jury denkt auch so und findet Kit schuldig. Er wird abgeführt, obgleich er fortwährend de- und wehmütig seine Unschuld beteuert. Die Zuschauer nehmen mit erneuter Aufmerksamkeit ihre Plätze wieder ein, denn es sollen jetzt mehrere weibliche Zeugen für den nächsten Fall vernommen werden, und es geht das Gerücht, daß der Anwalt des Herrn Braß dem Auditorium viel Spaß machen wird, indem er sie über den Gefangenen in ein Kreuzverhör verwickeln wird.
    Kits Mutter, das arme Weib, wartete bei dem Gitter unten an der Treppe mit Barbaras Mutter – die gute Seele weiß nichts anderes zu tun, als in einem fort zu weinen und das Büblein zu halten –; und nun kam eine traurige Unterredung. Der zeitunglesende Schließer hat ihnen alles gesagt. Er glaubt nicht, daß es sich um Deportation auf Lebenszeit handeln wird, weil es noch nicht zu spät ist, den Beweis für seinen rechtlichen Charakter zu erbringen, der ihm sicherlich nützen wird. Er wundert sich, warum Kit es eigentlich getan hat.
    »Aber er hat es nicht getan!« ruft Kits Mutter.
    »Nun«, sagt der Schließer, »ich will Euch nicht widersprechen. Es ist jetzt alles eins, ob er es getan hat oder nicht.«
    Kits Mutter kann durch die Eisenstangen die Hand ihres Sohnes erreichen und drückt sie; nur Gott und diejenigen, denen er so viel Liebe geschenkt hat, können ermessen, unter welch furchtbaren Qualen sie es tat. Kit redet ihr zu, den Mut nicht zu verlieren, und unter dem Vorwand, man solle die Kinder zu ihm emporheben, daß er sie küssen könne, bittet er Barbaras Mutter leise, sie fortzunehmen.
    »Gewiß wird ein Freund für uns eintreten, Mutter«, ruft Kit; »wenn auch nicht gleich im Augenblick, so doch bald. Meine Unschuld wird ans Licht kommen, Mutter, und ich kehre wieder heim. Daran glaube ich fest. Ihr müßt dem kleinen Jakob und dem Büblein erzählen, wie dies alles kam; denn sollten sie später, wenn sie einmal alt und verständig genug sind, von mir glauben, daß ich unehrlich gewesen sei, würde es mir das Herz brechen, und wenn ich tausend Meilen weit weg wäre. Oh, gibt es denn nicht irgendeinen guten Herrn hier, der sich ihrer annimmt?«
    Ihre Hand gleitet aus der seinigen, denn das arme Geschöpf sinkt besinnungslos zu Boden. Richard Swiveller kommt hastig hinzu, stößt die Umstehenden mit seinen Ellbogen aus dem Wege, nimmt Kits Mutter, nicht ohne einige Mühe, wie ein Entführer auf der Bühne in seinen Arm, nickt Kit zu, befiehlt Barbaras Mutter zu folgen, da draußen eine Kutsche auf sie warte, und trägt seine Last rasch davon.
    Richard brachte sie sofort nach Hause, und kein Sterblicher weiß, welch erstaunliche Abgeschmacktheiten er auf dem Wege durch fortwährendes Zitieren aus Liedern und Gedichten begangen haben mag. Wie gesagt also, er brachte sie nach Hause und wartete, bis sie sich erholt hatte; und da er kein Geld besaß, um die Kutsche zu bezahlen, so fuhr er ganz statt
lich in Bevis-Marks vor und hieß den Kutscher – denn es war Samstag abend – an der Tür warten, während er hineinginge, um ›wechseln zu lassen‹.
    »Ah, Herr Richard«, sagte Braß gutgelaunt, »guten Abend!«
    So unnatürlich Kits Erzählung ihm anfangs erschienen war, heute abend stieg Herrn Richard zum erstenmal der unbestimmte Verdacht auf, daß sein Brotherr ein scheußliches Bubenstück verübt hätte. Vielleicht war es nur der eben miterlebte Jammer, der ihn aus seinem gewöhnlichen Gleichmut rüttelte; wie dem übrigens sein mag, der Gedanke wollte ihm gar nicht aus dem Kopfe, und er brachte sein Anliegen so kurz als möglich vor.
    »Geld?« rief Braß, seine Börse herausnehmend. »Ha ha! Natürlich, Herr Richard, ganz natürlich, Sir. Alle Menschen müssen leben. Können Sie eine

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