Der Raritätenladen
eisenbeschlagener Vierfüßler ist, so nimmt Kit die erste beste Gelegenheit wahr, um zu entschlüpfen und in den Stall zu eilen. In demselben Augenblick, als er seine Hand auf die Klinke legt, wiehert das Pony den lautesten
Ponygruß; noch ehe er die Schwelle überschritten hat, macht das Pony seine Kapriolen in seinem Stand – denn es erträgt nicht die Schmach eines Halfters – und ist ganz darauf versessen, seinen Willkomm anzubringen; und als Kit auf es zugeht, um es zu liebkosen und zu streicheln, reibt das Pony die Nase an seinem Rock und schmeichelt ihm weit zärtlicher, als je ein Pony einem Menschen geschmeichelt hat. Dies ist der erhebendste Moment des ganzen ernsten und herzlich gefühlten Empfanges, und Kit schlingt seine Arme um den Hals des Kleppers und drückt ihn an sich.
Aber wieso kommt Barbara da hereingetrippelt? Und wie schmuck sie wieder ist! Seit sie sich wieder erholte, hat sie vor ihrem Spiegel gestanden. Wie mag Barbara von allen Orten der Welt gerade in den Stall kommen? Nun, in Kits Abwesenheit wollte das Pony von niemand anderem als von ihr sein Futter nehmen, und Barbara, seht ihr, die nicht die geringste Ahnung hatte, daß Christoph hier sei, und nur hinschauen wollte, ob alles in Ordnung sei, stieß so unerwarteterweise auf ihn. Wie sie errötete, die kleine Barbara!
Möglich, daß Kit das Pony genug geliebkost hat, möglich auch vielleicht, daß es noch bessere Dinge zu liebkosen gibt als Ponys. Jedenfalls läßt er es Barbaras wegen stehen und sagt, er hoffe, daß sie sich besser befinde. Ja, Barbara befindet sich viel besser. Sie fürchtet – und hierbei schlägt Barbara die Augen nieder und errötet noch mehr –, daß er sie für sehr töricht gehalten haben muß. »Nicht im geringsten«, sagt Kit. Barbara freut sich darüber und hustet – hm! – so leise als möglich – nicht lauter.
Welch ein rücksichtsvolles Pony, wenn es will! Es ist jetzt so ruhig wie eine Marmorstatue. Es hat einen so klugen Blick, aber den hatte es von jeher. »Wir haben kaum Zeit gehabt, einander die Hand zu geben«, sagt Kit. Barbara gibt ihm die ih
rige. Warum mag sie jetzt so zittern? Törichte, verlegene Barbara!
Eine Armlänge? Die Länge eines Armes ist nicht viel. Der von Barbara war keineswegs lang, und außerdem hielt sie ihn nicht gerade ausgestreckt, sondern ein wenig gebogen. Kit war ihr so nahe, als er ihr die Hand drückte, daß er sehen konnte, wie ihr noch eine winzig kleine Träne an dem Augenlide zitterte. Es war natürlich, daß er hinsah, ohne daß Barbara es bemerkte. Auch war es natürlich, daß Barbara unwillkürlich ihre Augen erhob und ihn ertappte. Mochte es wohl auch natürlich sein, daß Kit in diesem Augenblick Barbara küßte, ohne daß er vorher den Wunsch oder die Absicht hatte? Gleichviel, ob ja oder nein, er tat es. Barbara sagte: »Pfui!«, ließ ihn aber doch gewähren, und zwar zweimal. Vielleicht hätte er es auch das dritte Mal getan, aber das Pony schlug hinten aus und schüttelte den Kopf, als geriete es vor Entzücken ganz außer sich; und Barbara, die sehr darüber erschrak, lief fort, aber nicht stracks dahin, wo ihre Mutter und Kits Mutter waren, damit diese nicht sehen sollten, wie rot ihre Wangen wären, und schließlich nach der Ursache fragen könnten. Schlaue kleine Barbara!
Sobald sich die erste Freude in der ganzen Gesellschaft gelegt hatte und Kit mit seiner Mutter und Barbara mit ihrer Mutter, den kleinen Jakob und das Bübchen mit eingerechnet, eben gemeinsam ihr Abendbrot verzehrt hatten – sie hatten es nicht gerade sehr eilig, da sie die ganze Nacht hier bleiben sollten –, rief Herr Garland Kit zu sich, führte ihn in ein Zimmer, in dem sie allein sein konnten, und sagte, daß er ihm noch etwas mitzuteilen habe, das ihn sehr überraschen würde. Als Kit dies hörte, machte er ein so ängstliches Gesicht und wurde so blaß, daß sich der alte Herr hinzuzufügen beeilte, daß er angenehm überrascht sein werde; und er fragte ihn, ob er bereit sei, am andern Morgen eine Reise anzutreten.
»Eine Reise, Sir?« rief Kit.
»Ja, mit mir und meinem Freunde in dem nächsten Zimmer. Kannst du wohl den Grund derselben erraten?«
Kit erblaßte noch mehr und schüttelte den Kopf.
»O ja; ich glaube, du hast schon eine Ahnung davon«, sagte sein Herr. »Versuch es einmal.«
Kit murmelte etwas Unzusammenhängendes und Unverständliches, sprach aber zwei- bis dreimal die Worte ›Miß Nell‹ aus, obgleich er dabei den Kopf schüttelte, als
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