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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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meine er, daß hierfür keine Hoffnung vorhanden sei. Aber Herr Garland forderte ihn nicht auf, es noch einmal zu versuchen, wie Kit sicher erwartet hatte, sondern sagte ihm allen Ernstes, daß er richtig geraten habe.
    »Wir haben in der Tat endlich ihren Aufenthaltsort entdeckt«, fügte er hinzu, »und er ist das Ziel unserer Reise.«
    Kit stotterte noch einige Fragen, als da waren: wo sie sei, wie man sie gefunden, seit wann bereits, und ob sie gesund und glücklich sei.
    »Glücklich ist sie zweifellos«, sagte Herr Garland, »und gesund – ich hoffe, daß sie es bald sein wird. Wie ich höre, ist sie krank und leidend gewesen; nach den heutigen Nachrichten jedoch geht es ihr besser, und man ist voll Hoffnung. Setz dich, und du sollst das Weitere hören.«
    Kit, der kaum zu atmen wagte, tat wie ihm geheißen wurde. Herr Garland teilte ihm sodann mit, daß er einen Bruder habe, von dem er sicherlich schon sprechen gehört und dessen Jugendbild in dem Staatszimmer hänge. Dieser Bruder wohne weit weg in einem Dorfe bei einem alten Geistlichen, dessen Freund er von Jugend auf gewesen. Obgleich sie einander liebten, wie es zwischen Brüdern recht und billig sei, so hätten sie sich doch seit vielen Jahren nicht wiedergesehen, wohl aber von Zeit zu Zeit brieflich miteinander verkehrt, hätten stets
den Augenblick herbeigesehnt, da sie einander wieder einmal die Hände drücken könnten; darüber sei denn, wie es gewöhnlich bei den Menschen zu gehen pflegt, die Gegenwart entschwunden und die Zukunft zur Vergangenheit geworden. Dieser Bruder, der ein sehr sanfter, ruhiger, bescheidener Mensch sei, wie Herr Abel, stände hoch in der Liebe und Achtung der einfachen Leute, unter denen er wohne, die den ›Bachelor‹, wie sie ihn nennen, fast auf den Händen trügen, wie denn auch jeder derselben seine Mildtätigkeit und sein Wohlwollen erfahren habe. Diese kleinen Umstände seien nur sehr langsam und im Laufe der Jahre ihm bekannt geworden, weil der Bachelor zu den Leuten gehöre, die Gutes im stillen wirken und lieber die Wohltaten anderer verraten und loben als ihre eignen ausposaunen, wenn diese auch hundertmal rühmenswerter wären. Aus diesem Grunde habe er ihnen selten etwas von seinen ländlichen Freunden mitgeteilt, habe aber trotzdem, da seine Gedanken sich so ausschließlich mit zweien von ihnen beschäftigten – einem Kinde und einem alten Manne, denen er sich freundlich zu erweisen Gelegenheit gehabt –, in seinem letzten Brief, der vor wenigen Tagen eingetroffen sei, vom Anfang bis zum Ende von ihnen gesprochen und eine so ergreifende Geschichte von ihren Wanderzügen und ihrer gegenseitigen Liebe erzählt, daß nur wenige sie lesen könnten, ohne zu Tränen gerührt zu werden. Er, der Empfänger dieses Briefes, sei augenblicklich auf den Gedanken gekommen, daß dies dieselben Wanderer sein müßten, nach denen so viele Nachforschungen angestellt wurden und die der Himmel der Obhut seines Bruders zugeführt habe. Und nun habe er sich mehr von ihnen berichten lassen, damit seinem Zweifel ein Ende gemacht werde; und der Brief sei heute morgen eingelaufen. Seine erste Ahnung wurde dadurch zur Gewißheit, und die Nachricht sei auch die unmittelbare Ursache
der beabsichtigten Reise, die morgen unternommen werden sollte.
    »Du bedarfst übrigens sehr der Ruhe«, sagte der alte Herr aufstehend und seine Hand auf Kits Schulter legend; »denn ein Tag wie der heutige könnte den kräftigsten Mann ermatten. Gute Nacht, und Gott gebe, daß unsere Reise einen glücklichen Ausgang nehme.«

Neunundsechzigstes Kapitel
    Kit war kein Peter Langsam am andern Morgen, sondern sprang schon vor Tagesanbruch aus seinem Bette und fing an, sich für die willkommene Reise vorzubereiten. Die geistige Aufregung, welche die Ereignisse von gestern zur Folge gehabt hatten, und die unerwartete Nachricht, die er abends vernommen, hatten seinen Schlaf während langer, finsterer Stunden beunruhigt und so beklemmende Träume um sein Lager versammelt, daß es ihm ein Genuß war, aufzustehen.
    Aber wäre es der Anfang irgendeiner großen Arbeit mit demselben in Aussicht stehenden Ziel gewesen, der Beginn einer langwierigen Fußreise in dieser ungünstigen Jahreszeit, die nur unter Entbehrungen und Schwierigkeiten aller Art verfolgt und nur mit Ungemach, Erschöpfung und Leiden hätte vollbracht werden können; wäre es ein bevorstehendes, mühevolles Unternehmen gewesen, bei dem sicherlich seine äußersten Kräfte der Ausdauer und

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