Der Raritätenladen
hing und ihre düsteren Schatten auf den häuslichen Herd warf. Abgesehen davon, daß es sehr schwer war, einer Person, die nicht ganz genau mit seiner Lebensweise bekannt war, einen entsprechenden Begriff von seiner trübseligen Einsamkeit beizubringen, wurde das Kind selbst inmitten seines Gefühlsausbruches von der beständigen Furcht gelähmt, den Mann, welchen es so zärtlich liebte, bloßzustellen oder zu kränken, und diese ließ es jede Anspielung auf die Hauptursache seiner Beängstigung und Betrübnis vermeiden.
In der Tat waren es auch nicht die gleichförmigen Tage, die nichts unterbrach, die keine lustige Kameradschaft erhellte, nicht die trüben, traurigen Abende oder die einsamen, langen Nächte, nicht der Mangel an allen jenen kleinen und unschuldigen Freuden, bei denen kindliche Herzen schneller schlagen, nicht der Umstand, daß sie nichts anderes von der Kindheit wußte, als daß sie schwächlich und leicht verletzlich sei – was Nell solche Tränen entrang. Den alten Mann zu sehen, der unter dem Druck eines geheimen Kummers fast zusammenbrach, Zeuge zu sein von seinem Wankelmut, von seinem unsteten Zustande, bisweilen von der schrecklichen Furcht geängstigt zu werden, daß es mit seinem Verstand nicht richtig
sei, und in seinen Worten und Blicken das Heraufdämmern eines trostlosen Wahnsinns erkennen zu müssen; Tag für Tag zu wachen, zu harren und zu lauschen auf eine Bestätigung dieser Dinge, zu wissen und zu fühlen, daß sie, was auch kommen mochte, dann allein, ohne Hilfe, ohne Rat, ohne Teilnahme in der Welt stände – das waren die Ursachen für ihre Niedergeschlagenheit und Angst, und sie hätten genügt, um auch auf einer älteren Brust, der vielleicht noch obendrein so mancher erheiternde Einfluß zu Gebote stand, schwer zu lasten. Welchen Druck mußten sie aber auf die Seele eines jungen Kindes üben, dem sie immer vor Augen standen und das nur von Dingen umgeben war, die solche Gedanken nährten!
Und doch kam Nell dem alten Manne unverändert vor. Wenn er seine Gedanken nur einen Augenblick von dem Gespenste loswinden konnte, das fortwährend in ihm hauste und brütete, so stand seine junge Gefährtin mit demselben Lächeln, denselben ernsten Worten, derselben Heiterkeit, derselben Liebe und Sorgfalt vor ihm, die, tief in seiner Seele Wurzel fassend, ihn sein ganzes Leben begleitet zu haben schienen. Und so lebte er dahin, zufrieden, in dem Buch ihres Herzens von der Seite an zu lesen, die ihm zuerst aufgeschlagen worden, ohne eine Ahnung zu haben, was die andern Blätter enthalten mochten, und stets sich selbst beredend, daß wenigstens das Kind glücklich sei.
Sie war es einst gewesen. Sie war singend durch die düsteren Zimmer gegangen, mit heiterem und leichtem Schritte hatte sie sich unter den staubigen Schätzen bewegt, sie älter gemacht durch ihr junges Leben und finsterer und grämlicher durch ihre fröhliche und heitere Gegenwart. Aber jetzt waren die Gemächer kalt und schwermütig, und wenn sie ihr eigenes kleines Stübchen verließ, um die schleppenden Stunden zu töten, – wenn sie sich dann in einem der Zimmer niedersetzte,
so blieb sie da, still und regungslos wie ihre seelenlosen Bewohner, und hatte nicht den Mut, das vom langen Schweigen heisere Echo mit ihrer Stimme zu wecken.
In einem dieser Gemächer befand sich ein Fenster nach der Straße hinaus, an dem man das Kind manchen langen Abend und oft bis tief in die Nacht hinein allein und gedankenvoll sitzen sehen konnte. Man ist nie so ängstlich, als wenn man wacht und harrt, und zu solchen Stunden bedrängten oft Scharen trauriger Bilder ihren Geist.
Sie pflegte, sobald es dunkel wurde, dort Posten zu fassen und die Leute zu beobachten, wie sie die Straße auf und nieder gingen oder an den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser erschienen; dann hätte sie wohl wissen mögen, ob jene Zimmer auch so einsam wären als das ihrige und ob es den Leuten drüben vorkam, als ob sie Gesellschaft hätten, wenn sie sie hier sitzen sahen, wie es bei ihr der Fall war, wenn sie nur jemanden den Kopf heraus- und wieder hineinstecken sah. Auf einem der Dächer befand sich eine ungleichförmige Reihe von Schornsteinen, die ihr bei dem oftmaligen Hinsehen wie garstige Gesichter vorkamen, die finster auf sie herabblickten und das Gemach zu durchspähen suchten; es war ihr dann lieb, wenn es zu dunkel wurde, um sie unterscheiden zu können, obgleich sie sich auch vor der Ankunft des Mannes fürchtete, der die Straßenlampen
Weitere Kostenlose Bücher