Der Raritätenladen
hatte er jedoch keine begründete Ursache zur Besorgnis, denn die ganze Vorstellung wurde aus Leibeskräften beklatscht, und es regnete freiwillige Beiträge mit einer Liberalität, welche noch weit nachdrücklicher das allgemeine Entzücken bekundete. Niemand lachte lauter und häu
figer als der alte Mann. Von Nell hörte man übrigens nichts, denn das arme Kind war, das Köpfchen auf die Brust gesenkt, eingeschlafen und schlummerte zu fest, als daß sie durch seine Bemühungen, sie zur Teilnahme an seiner Lust zu bewegen, hätte geweckt werden können. Das Nachtessen war sehr gut, aber sie fühlte sich zu ermattet, um zu essen; doch wollte sie den alten Mann nicht verlassen, bis sie ihn im Bett wußte und ihm zum Gutenachtgruß geküßt hatte. Er, zum Glück unempfindlich für jede Sorge und Bekümmernis, saß da und horchte mit einem leeren Lächeln und bewunderndem Gesicht auf alles, was seine neuen Freunde sprachen, und erst als diese gähnend ihre Kammer aufsuchten, folgte er dem Kinde die Treppen hinauf.
Es war nur ein in zwei Hälften abgeteilter Dachboden, wo sie sich zur Ruhe begeben sollten; demungeachtet freuten sie sich über ihr Nachtquartier, da sie auf kein so gutes gerechnet hatten. Der alte Mann fühlte sich, nachdem er sich niedergelegt hatte, nicht wohl und bat Nell, daß sie kommen und sich an sein Bett setzen möchte, wie sie so viele Nächte getan hatte. Sie gehorchte eiligst und blieb, bis er eingeschlafen war.
In dem ihr angewiesenen Abteil befand sich ein kleines Fenster, kaum größer als ein Mauerriß, und nachdem sie ihren Großvater verlassen hatte, öffnete sie es, verwundert über das tiefe Schweigen. Der Anblick der alten Kirche und der umherliegenden Gräber in der Mondbeleuchtung, die dunkeln Bäume, die einander zuflüsterten, stimmten sie gedankenvoller als je zuvor. Sie machte das Fenster wieder zu, setzte sich auf ihr Bett und dachte über das Leben nach, das ihnen jetzt bevorstand.
Sie hatte etwas Geld, aber es war nur sehr wenig, und wenn dieses fort war, dann mußten sie anfangen zu betteln. Es war ein Goldstück darunter, und im Falle der Not konnte es leicht
für sie einen hundertfältigen Wert bekommen. Daher mochte es wohl das beste sein, diese Münze zu verbergen und nur in einer durchaus verzweifelten Lage Zuflucht zu ihr zu nehmen, wenn alle andern Hilfsquellen versiegt waren.
Ihr Entschluß war gefaßt, sie nähte das Goldstück in ihr Kleid ein, und da sie jetzt mit leichterem Herzen zu Bett gehen konnte, fiel sie schnell in einen tiefen Schlaf.
Siebzehntes Kapitel
Ein zweiter, heiterer Tag schien durch das kleine Fenster und weckte das Kind, um mit dessen ihm verwandten Augen Kameradschaft zu machen. Bei dem Anblick des fremden Gemachs und der ungewohnten Umgebung raffte sich Nell unruhig auf und wunderte sich, wie sie aus dem traulichen Kämmerchen, in dem sie gestern abend eingeschlafen zu sein glaubte, fort und hierher gebracht worden sei. Aber ein zweiter Blick rief ihr die jüngst erlebten Begebenheiten wieder ins Gedächtnis, und voll Hoffnung und Vertrauen sprang sie aus ihrem Bette.
Es war noch früh, und da der alte Mann noch in tiefem Schlafe lag, ging sie auf den Kirchhof hinunter und fegte mit ihren Füßen den Tau von dem langen Grase, indem sie oft über Stellen ging, wo es noch höher wuchs, um nicht auf die Gräber zu treten. Sie fand eine eigentümliche Art von Vergnügen in dem Aufenthalte unter diesen Häusern des Todes und las die Aufschriften auf den Gräbern der guten Menschen – es lag deren eine große Anzahl hier bestattet –, indem sie mit wachsendem Interesse von dem einen zum andern wandelte.
Es war ein sehr ruhiger Ort – ganz so, wie er sein sollte –, mit Ausnahme der krähenden Dohlen, die ihre Nester in den Zweigen einiger hoher Bäume gebaut hatten und hoch oben
in der Luft einander zuriefen. Zuerst ließ einer dieser glattgefiederten Vögel, der in der Nähe seines zerzausten Hauses schwebte, während er sich im Winde schwang und schaukelte, sein heiseres Geschrei vernehmen, ganz zufällig, wie es schien und in einem bescheidenen Tone, als ob er nur mit sich selbst spräche. Ein anderer antwortete, und der erste schrie abermals, aber lauter als zuvor; dann mischte sich ein dritter und vierter ins Gespräch, und jedesmal beharrte der erste, durch den Widerspruch gereizt, nur um so stärker auf seiner Behauptung. Nun fielen auch noch andere Stimmen ein, die bisher geschwiegen hatten, von den niedrigeren, den höheren, den
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