Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
Sechspencestücke zählend, noch ehe sie verdient waren. Von den Kindern wurden so viele, wie sich eben in Schranken halten ließen, samt ihren Schmutzflecken und ärmlichen Lumpen zwischen Eseln, Karren und Pferden verstaut, und die
man nicht in dieser Weise unterbringen konnte, liefen in den unmöglichsten Winkeln hin und her, rannten den Leuten zwischen die Beine, krochen zwischen den Wagenrädern durch und kamen unbeschädigt zwischen den Hufen der Rosse wieder zum Vorschein. Die tanzenden Hunde, die Stelzen, die kleine Dame nebst dem großen Manne und all die übrigen Lockmittel mit einer Unzahl von Drehorgeln und zahllosen Musikantenbanden tauchten aus den Löchern und Winkeln auf, in denen sie die Nacht zugebracht hatten, und stolzierten keck in der Sonne.
    Längs der von Menschen überfüllten Rennbahn führte Short seine Gesellschaft, wobei er aus Leibeskräften in seine Messingtrompete stieß und mit der Stimme des Policinellos lärmte; ihm folgte Thomas Codlin, wie gewöhnlich mit dem Puppenkasten auf dem Rücken, und verwandte kein Auge von Nelly und ihrem Großvater, die ziemlich weit zurückblieben. Das Kind trug sein Körbchen mit Blumen an dem Arme und blieb hin und wieder mit bescheidenen und schüchternen Blicken stehen, um sie irgendeiner prunkenden Karosse anzubieten. Aber ach! es waren viel kühnere Bettler da – Zigeunerinnen, die Ehemänner versprachen, und andere Adepten ihres Gewerbes; und obgleich einige Damen mit sanftem Lächeln die Köpfe schüttelten und andere den Herren an ihrer Seite zuriefen: »Seht doch das entzückende Gesichtchen!«, ließen sie doch das entzückende Gesichtchen stehen, ohne daran zu denken, daß es müde oder hungrig aussah.
    Nur eine einzige Dame schien das Kind zu verstehen; sie saß allein in einem schönen Wagen und war augenscheinlich von zwei jungen Männern in eleganter Kleidung, die eben ausgestiegen waren und in einiger Entfernung laut plauderten und lachten, ganz vergessen worden. In ihrer Nähe befanden sich viele Damen, aber sie hatten ihr den Rücken gekehrt, sa
hen in eine andere Richtung oder warfen den beiden jungen Männern freundliche Blicke zu, ohne sich um die im Wagen sitzende Gestalt zu kümmern. Sie winkte einer Zigeunerin, die ihr durchaus wahrsagen wollte, sich zu entfernen, indem sie bemerkte, man habe ihr schon auf einige Jahre hinaus prophezeit, rief das Kind zu sich, nahm dessen Blumen, drückte ihm Geld in die zitternde Hand und hieß es nach Hause gehen und um Gottes willen zu Hause bleiben.
    Oftmals gingen sie diese langen Reihen auf und ab und sahen alles, nur nicht die Pferde und das Rennen. Als die Glocke das Zeichen gab, die Bahn zu räumen, kehrten sie zurück, um zwischen den Karren und Eseln auszuruhen, und kamen erst wieder zum Vorschein, als die größte Hitze vorüber war. Oftmals zeigte sich auch Policinello im vollen Glanze seines Humors; aber die ganze Zeit über haftete Thomas Codlins Auge auf ihnen, so daß an ein umbemerktes Entkommen nicht zu denken war. Endlich, spät am Nachmittag, pflanzte Herr Codlin den Puppenkasten an einem geeigneten Orte auf, und die Zuschauer waren bald überselig. Das Kind, das mit dem alten Manne dicht hinter dem tragbaren Schauspielhause saß, machte sich eben darüber Gedanken, wie merkwürdig es doch sei, daß Pferde, die so schöne, anständige Geschöpfe wären, aus allen Leuten, die ihnen nachzögen, Vagabunden zu machen schienen, als ein lautes Gelächter über einen extemporierten Witz des Herrn Short, der auf Tagesereignisse Bezug hatte, sie aus ihren Betrachtungen weckte und sie aufschauen ließ. 
    Wenn sie je unbeachtet entkommen konnten, so war dies der geeignetste Augenblick dazu. Short ließ die Peitsche kräftig spielen und schlug in der Wut des Kampfes seine Schauspieler gegen die Kulissen der Bühne; die Leute sahen mit lachenden Gesichtern zu, und Herr Codlin verzerrte seinen Mund zu einem scheußlichen Lächeln, als sein unstetes Auge
bemerkte, wie die Hände in die Westentaschen fuhren und heimlich nach Sechspencestücken tasteten. Ja, wenn sie je unbemerkt entweichen konnten, so war dies der Augenblick dazu! Sie benutzten ihn und flohen.
    Sie bahnten sich einen Weg durch die Buden, die Wagen und das Menschengedränge, ohne auch nur einmal anzuhalten, um zurückzusehen. Die Glocke läutete, und die Bahn war geräumt, als sie eben bei den Seilen anlangten; aber sie stürmten über den Platz, ohne sich an das Geschrei oder den Lärm zu kehren, der hinter ihnen

Weitere Kostenlose Bücher