Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Rat der Zehn

Titel: Der Rat der Zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
Vom Netzwerk:
Vorfälle, die typisch für sie waren. Wie damals, als sie einen Streik im Betrieb beilegte, indem sie schwor, die Maschinen selbst zu bedienen und dies auch tatsächlich eine Stunde lang tat, bis die Arbeiter ihre Transparente hinlegten und wieder hineingingen. Oder als der Lehrer Drew ohne ersichtlichen Grund eine schlechte Note gab und seine Großmutter ein Ein-Personen-Sit-in im Büro des Direktors veranstaltete, bis sie eine faire Unterredung mit allen Beteiligten erreichte. Es gab Hunderte solcher Geschichten. Erst jetzt merkte Drew, wieviel sie ihm bedeuteten, und das machte es noch schwerer, das vergangene Jahr zu akzeptieren. Die Zurückweisung ihrer Schecks, dachte er, mußte sie als Zurückweisung ihrer Liebe empfunden haben. Er schämte sich. Es war schwer, eine Trennlinie zu ziehen und bei dem Versuch, nicht zu einem Fremden zu werden, wurde er ein Fremder.
    Tatsächlich hatte sie Washington nur einmal seit seiner Graduierung besucht, trotz seines ständigen Drängens mal hochzukommen. Sie hatte stets eine Ausrede parat, aber Drew war sicher, daß sie in Wahrheit nicht in sein neu aufgebautes Leben eindringen wollte. Drew hingegen besuchte Palm Beach mindestens zweimal im Jahr für etwa eine Woche, immer im exklusiven Breakers absteigend, wo ihm zum erstenmal bewußt wurde, daß das Erwachsensein offiziell eingesetzt hatte, als ihm gesagt wurde, er habe nach sechs in der Lobby ein Jackett zu tragen.
    Andy (sie nannte ihn nie Drew, wie er es vorzog), hier ist deine Großmutter. Ich hoffe, ich störe dich nicht … Alle ihre Telefonanrufe begannen so, und sie störten ihn nie.
    Der Rabbi las jetzt aus einem Gebetbuch, Worte, so einfach wie die Grabstelle selbst. Drew teilte die Stühle in der ersten Reihe mit zwei Tanten, die er kaum kannte und über die Doris Kaplan nie viel Gutes zu sagen gehabt hatte. Die einzige Person, die er hier wirklich kannte, war Morris Kornbloom, der sich vom Augenblick des schrecklichen Telefonanrufes in den frühen Morgenstunden des Donnerstages an mitfühlend und hilfreich verhalten hatte. Als er ankam, hatte Kornbloom etwas von einem Testament erwähnt, und Drew nahm an, daß er bis zu dessen Verlesung bleiben mußte, obwohl dies das letzte war, was er sich wünschte.
    Drew rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Er war ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit in Florida, und die einzigen Anzüge, die er besaß, waren aus Wolle. Sein Hemd war schon völlig durchnäßt, und er spürte den warmen Schweiß, der in seine Weste drang.
    Schließlich war es vorbei, und Drew tat sein Bestes, um sich von seinen vorher nie gesehenen und bis zum Schluß bleibenden Verwandten fernzuhalten. Der Rabbi kam herüber, um zu kondolieren, und Drew dankte ihm. Dann verging er fast vor Hitze und flüchtete vor allen, außer vor Dr. Morris Kornbloom.
    »Wir müssen uns unterhalten«, sagte Kornbloom sanft.
    Drew zuckte die Achseln.
    »Hier«, fuhr er fort und zog einen Umschlag aus seiner Jackentasche. »Das habe ich im Nachlaß Ihrer Großmutter gefunden. Als ihrem Nachlaßverwalter wurde er mir zusammen mit einem Schreiben von ihr übergeben, das besagt, ich solle ihn Ihnen im Falle eines unnatürlichen Todes persönlich übergeben.«
    »Gilt ein Herzschlag als unnatürlich?«
    »Die Umstände sind es. Delirium wäre eine ausreichende Erklärung, aber das erklärt es nicht, mir jedenfalls nicht. Dann ist da noch der Tod der anderen drei Frauen zu berücksichtigen. Das alles wäre vielleicht zu erklären gewesen, und ich hätte das auch akzeptieren können, wäre Ihre Großmutter nicht außerhalb des Breaks gefunden worden, vielleicht vor irgend etwas davonlaufend.«
    »Doktor …«
    Kornbloom drückte Drew den Brief in die Hand. »Ich habe das nicht gelesen, und ich will, daß Sie ihn jetzt an sich nehmen, damit ich es auch niemals kann.« Seine Stimme verlor sich, »ich bin da, wenn Sie mich brauchen. Ich … wollte nur, daß Sie das wissen.«
    Drew begann den Umschlag zu öffnen. Ein fester Griff Kornblooms hielt ihn auf, bevor er ihn ganz aufgerissen hatte.
    »Nicht hier«, meinte er. »Ich habe den Eindruck, daß der Inhalt sehr persönlich ist.«
    Er brach ab. In seinen Augen war Trauer. »Sie haben meine Nummer. Ich weiß, Sie haben keinen Grund, mir zu trauen, aber falls …«
    »Meine Großmutter vertraute Ihnen«, unterbrach Drew. »Das ist mir Grund genug.«
    Drew öffnete den Umschlag auf dem Rücksitz der Limousine, die sich auf dem Rückweg zum Hyatt Palm Beaches

Weitere Kostenlose Bücher