Der Rat der Zehn
Gründen, die er gerade anfing zu verstehen, war der Timberwolf mit dem Entschluß, Drew Jordan zu helfen, zur Polizei gegangen. Es war ihm nicht gelungen, den Anblick zu vergessen, wie die Polizei den jungen Mann in einen Streifenwagen verfrachtet hatte. Aber Jordan war nicht mehr im Polizeigefängnis, mehr noch: Alle Spuren seines dortigen Aufenthalts waren beseitigt worden. Waymann biß sich auf die Lippe, um sich zu bestrafen. Drew Jordan war die ganze Zeit hindurch ein Opfer von Professionellen gewesen, und sie waren noch nicht mit ihm fertig. Nun hatte man ihn verschwinden lassen, und dies war die Schuld des Timberwolfs.
Weil er sich geweigert hatte, darin verwickelt zu werden.
Weil er sich die Hände nicht mehr schmutzig machen wollte.
Weil er nicht die Person sein konnte, für die Drew Jordan ihn hielt.
Also hatte er gestern Jilly angerufen. Vor Jahren war sie Teil des gleichen Netzes wie er gewesen. Damals war sie ein Kurier, und zwar ein guter. Ihre Liebesaffäre war still und heimlich gewesen, nichts, das die Aufmerksamkeit ihrer Vorgesetzten erregen konnte. Sie verließ das Netz, kurz bevor er es tat, und das war das Ende ihrer Beziehung. Das Geschäft hatte die Regeln diktiert, und ohne das Geschäft gab es keine zu befolgen. Jilly begann für einen privaten Nachrichtendienst, die Beta-Gruppe, zu arbeiten. Frei von Kongreßbeschränkungen, war die Beta-Gruppe weithin als die beste Organisation dieser Art in der Welt bekannt. Sie bot Informationsdienste an, die Waymann jetzt bitter benötigte.
Da sich das Beta-Hauptquartier in Washington, D.C. befand, hatte Waymann es für sinnvoll gehalten, dorthin zu fliegen, um Jilly zu treffen. Sie hatte als Treffpunkt Fort Dupont Park vorgeschlagen, und er war einverstanden gewesen. Der Park war weitläufig. Die Blätter hatten begonnen, sich zu verfärben. Wenn der erste Schnee gefallen war, würde sich hier ein malerisches Bild bieten. Waymann konnte dieses Bild fast sehen, als er sich neben Jilly auf die Bank setzte. Der Wind erfaßte ihr langes schwarzes Haar und warf es zurück.
»Wo soll ich anfangen?« fragte sie.
Waymann erinnerte sich, daß Drew Jordan ihm vor zwei Tagen eine ähnliche Frage gestellt hatte. »Bei den Großmüttern«, sagte er.
Sie zog die Mappen aus ihrer Tasche und öffnete die oberste.
»Deine Kristallkugeln haben ihre Genauigkeit behalten, Peter. Die Zeiten erhöhter Finanzaktivität, auf die ich ja achten sollte, standen jeweils im Zusammenhang mit den Wochen direkt nach ihrer Rückkehr von den Ferien auf den Bahamas.«
Waymann nickte. Er war nicht überrascht. Er hatte gespürt, daß Drew Jordan von Anfang an recht gehabt hatte.
»Irgendwelche Verbindungslinien, die du zwischen Trelana und den alten Damen ziehen konntest?«
»Nicht direkt, aber das heißt nichts, nicht in der Drogenwelt.« Sie öffnete eine weitere Manilamappe. »Übrigens, du scheinst über einen ganzen Verteilerring gestolpert zu sein, der ziemlich erfolgreich ist – oder war. Die Details findest du hier. Ich erzähle dir nur das Wichtigste. Lantos war tatsächlich einer von Trelanas Kurieren, zusammen mit einer sehr tödlichen – und nun sehr toten – Frau namens Sabrina. Und diese Brüder, nach denen du mich gefragt hast, sind die Riveros. Die gefürchtetsten Kokshändler von Miami, bis sie jemand letzte Woche erledigt hat.« Sie schloß die Mappe, ihr Gesicht straffte sich. »Dein Interesse an all dem ist sehr seltsam – es sei denn, du planst, die Gelegenheit zu ergreifen, in eine neue Art von Geschäft einzusteigen.«
»Nein, ich möchte nur in mein altes zurückkehren.«
Jilly hob die Augenbrauen. »Habe ich das richtig verstanden?«
Waymann sah sie an. »Weißt du, da war dieser Junge oder besser junge Mann, der an meiner Haustür mit einer unglaublichen Geschichte auftauchte und alle möglichen Namen kannte, die er nicht kennen sollte. Was nur bedeuten konnte, daß er über etwas gestolpert war, was außerhalb seines normalen Erfahrungsbereiches lag. Seine Großmutter war eine der alten Damen, die getötet wurden. Ich glaubte ihm, was er erzählte, und habe trotzdem nichts getan, um ihn zu helfen. Er war die Art von Person, für die ich früher kämpfte, für die ich mein Leben aufs Spiel setzte. Niemand Besonderes, einfach ein armer Hund, den die Unterwelt als Fußabtreter benutzt hat. Zum Teufel, ich kannte damals die Leute, für die ich kämpfte, noch nicht einmal. Sie waren durch die Schweine, die ich jagte, verletzt worden, und das
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