Der Rattenfänger
Situation haben drängen lassen, oder Ihre absurde Vorstellung, ich könnte nichts davon erfahren?«
Der Oberste Richter schloss wie vom Schmerz überwältigt die Augen und kniff sich in den Nasenrücken. Dann ging er, Hawkwood ignorierend, zum Fenster und starrte hinaus.
»Eigentlich müsste ich Sie vom Dienst suspendieren«, sprach er schließlich weiter, »und ein Ermittlungsverfahren gegen Sie einleiten. Unter den gegebenen Umständen bleibt mir jedoch keine andere Wahl, als davon abzusehen.« Jetzt drehte James Read sich um und sah Hawkwood finster an. »Im Augenblick kann ich nämlich nicht auf Ihre Mitarbeit verzichten.«
Dann herrschte eisiges Schweigen. Hawkwood spürte, dass James Read noch nicht mit ihm fertig war. Wie hat er nur von dem Duell erfahren?, wunderte er sich. Major Lawrence hatte ihm versichert, dass John Rutherford und seine Freunde über die peinliche Affäre Stillschweigen bewahren würden. Der Arzt und der Lakai waren bestochen worden und würden wohlweislich den Mund halten. Hatte Catherine de Varesne darüber gesprochen? Unwahrscheinlich. Blieb nur noch Lord Mandrake, der jedoch Hawkwood gegenüber den Vorfall im Park mit keinem Wort erwähnt hatte, weil er wahrscheinlich keine Kenntnis davon besaß. Und die schattenhafte Gestalt unter den Bäumen?, überlegte Hawkwood. Vielleicht habe ich mir die doch nicht eingebildet. Aber es ist sinnlos, weiter zu spekulieren. Die Katze ist aus dem Sack, und ich muss die Konsequenzen tragen.
»Vergessen Sie eins nicht, Sir«, fuhr James Read fort und durchbohrte Hawkwood förmlich mit seinem Blick, »und denken Sie stets daran: Ich verfüge zwar über einen gewissen Einfluss auf bestimmte Kreise der Regierung, aber nur, solange ich mein Amt ausübe. Der Tag wird kommen, an dem ich meine Autorität nicht mehr einsetzen kann, um meine schützende Hand über Sie zu halten!
Ihr unkluges Verhalten hat mich in eine prekäre Lage versetzt, Hawkwood. Derartige Situationen missbillige ich. Sie können sich glücklich schätzen, dass ich John Rutherfords Vater davon überzeugen konnte, die für seinen Sohn demütigende Angelegenheit im Interesse der Familie auf sich beruhen zu lassen. Aber Vorsicht, Hawkwood. Sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Ich habe Ihnen bisher eine Menge Freiheiten zugestanden, aber es wäre unklug von Ihnen, meine Nachsicht zu missbrauchen. Ich werde nicht zulassen, dass einer meiner Beamten durch sein eitles Fehlverhalten dem exzellenten Ruf dieser Behörde schadet. Sollten Sie jemals wieder einen persönlichen Rachefeldzug planen, rate ich Ihnen, sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen.« Die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Beine gespreizt, stand der Oberste Richter mitten im Raum. »Ich behalte mir vor, Sie zu entlassen, Hawkwood. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Ja, Sir«, sagte Hawkwood und atmete erleichtert auf. Denn der Richter hatte ihm noch eine Chance gegeben – ihm sozusagen eine Gnadenfrist eingeräumt.
James Read sah seinen Runner noch einmal durchdringend an und nickte dann. »Gut, dann belassen wir es einstweilen dabei. Wir sprechen noch einmal darüber, sobald dieser Fall aufgeklärt ist. Sie können jetzt gehen. Sprechen Sie mit Mr. Twigg über die Fälle, die Runner Warlock zuletzt bearbeitet hat.«
»Ja, Sir.«
»Ach, übrigens, Officer Hawkwood …«
Hawkwood drehte sich noch einmal um. »Ja, Sir?«
»Sie sehen erschöpft aus. Ich rate Ihnen, und sei es nur aus gesundheitlichen Gründen, Ihre nächtlichen Eskapaden auf ein Minimum zu beschränken«, ermahnte ihn der Richter spöttisch.
»Warum, zum Teufel, gibt es darüber keinen Bericht?«, fuhr Hawkwood Ezra Twigg an.
Der kleine Mann blinzelte hinter seiner Brille und rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Es tut mir Leid, Mr. Hawkwood. Officer Warlock konnte keinen vorläufigen Bericht schreiben, weil er nicht mehr ins Amt gekommen ist.«
»Gibt es darüber überhaupt irgendwelche Informationen? Wer hat diesen verdammten Uhrmacher als vermisst gemeldet?«
»Sein Diener.«
Hawkwood wartete, während Ezra Twigg in dem Bemühen, doch noch hilfreich zu sein, einen Stapel Akten auf seinem Schreibtisch durchblätterte, daraus schließlich mit einem zufriedenen Brummen ein einzelnes Blatt hervorzog und es unter die Lampe hielt. »Ja, hier haben wir’s … Luther Hobb, Diener. Das Hauspersonal hat sich Sorgen gemacht, als Master Woodburn nicht zum Abendessen nach Hause kam. Der Diener ist ins Amt gekommen und
Weitere Kostenlose Bücher