Der Rattenfänger
unentschlossene Verhalten des Dienstmädchens, als sie Hawkwood die Tür öffnete. Als Polizist zählte er offenkundig nicht zum Kreis illustrer Kunden, und das Dienstmädchen war sich unsicher, ob sie ihn nicht zum Lieferanteneingang schicken sollte. Hawkwood half ihr aus diesem Dilemma, indem er vorschlug, sie solle den Diener holen. Nach kurzem Zögern führte das Mädchen ihn doch in den Salon und machte sich beinahe fluchtartig auf die Suche nach Verstärkung.
Hobb, der Diener, war ein adretter Mann in mittleren Jahren mit spärlichem, grau meliertem Haar und einem eckigen, ehrlichen Gesicht. Die aufrechte Haltung des Mannes in der schwarzen Livree ließ Hawkwood vermuten, dass er beim Militär gedient haben könnte.
Mit ihm war seine Frau, die Haushälterin, in den Salon getreten. Sie trug zu ihrem schlichten grauen Kleid eine Morgenhaube, und ihre Miene drückte Besorgnis aus.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Hobb. »Wir haben doch bereits Officer Warlock alles erzählt, was wir wissen.«
Hawkwood erklärte mit schonungsloser Offenheit: »Officer Warlock ist tot – er wurde ermordet. Seine Leiche wurde heute Morgen entdeckt. Ich habe die Ermittlungen übernommen.«
»Gott bewahre uns!«, sagte Hobb und umklammerte die Schultern seiner Frau. Sie schnappte nach Luft, ob wegen der schrecklichen Neuigkeit oder wegen des festen Griffs ihres Mannes, konnte Hawkwood nicht sagen.
Da durchbrach schallendes Gelächter aus der Diele das betroffene Schweigen. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein kleines Mädchen in einem gelben Leinenkleid stürzte herein. Dicht auf den Fersen folgte ihr mit fliegenden Ohren ein kleiner schwarzweißer Hund von unbestimmter Rasse.
»Großpapa …«, rief das Kind, blieb dann abrupt stehen und sah sich verwirrt um. Ihr Blick blieb schließlich an Hawkwood hängen, und er schaute in die größten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Die Kleine war sieben oder acht Jahre alt und atemberaubend hübsch. In ihrer Armbeuge hielt sie eine Puppe, eine Miniaturausgabe ihrer selbst, in einem gleichfarbigen spitzenbesetzten Kleid und winzigen weißen Schühchen.
»Ich habe doch Großpapas Stimme gehört! Wo ist er?«
Mrs. Hobb fasste sich sofort, als sie die Enttäuschung des Kindes sah. Die Haushälterin breitete die Arme aus, und das kleine Mädchen lief zu ihr. Der Hund merkte nichts von der ernsten Stimmung im Raum und beschnupperte mit wedelndem Schwanz die Möbel.
Völlig aufgelöst und außer Atem tauchte das Dienstmädchen in der Tür auf. »Es tut mir Leid, Mrs. Hobb. Als Elizabeth die Stimmen hörte, ist sie einfach losgerannt. Ich konnte sie nicht aufhalten.«
In Mrs. Hobbs beschützenden Armen geborgen, warf das Kind Hawkwood wieder einen durchdringenden Blick zu und vergrub dann ihr Gesicht in der gestärkten weißen Schürze der Haushälterin. Da entdeckte der Hund plötzlich den Fremden, sprang über den Teppich auf Hawkwood zu und beschnupperte seinen Stiefel.
Mrs. Hobb tätschelte Elizabeths Kopf und sagte besänftigend: »Na, na, mein Schatz, du musst keine Angst haben. Dieser Gentleman, Mr. Hawkwood, bringt uns Neuigkeiten von deinem Großpapa.«
Da drehte sich die Kleine langsam um und fragte voller Erwartung und neu erwachter Hoffnung: »Wann kommt Großpapa nach Hause?«
Beim Anblick des Gesichts dieses Mädchens musste Hawkwood unwillkürlich an Pen, eines der Straßenkinder, die Warlocks Leiche entdeckt hatten, denken. Beide Mädchen waren etwa gleichaltrig, beide Waisenkinder, aber zwischen ihnen lagen Welten. Eines war in ein luxuriöses Leben, das andere in ein Dasein bitterster Armut hineingeboren worden. Und doch gab es eine Ähnlichkeit zwischen ihnen: Beide Gesichter drückten Argwohn und Angst aus, als sie ihn angesehen hatten.
Mrs. Hobb legte Elizabeth die Hand auf die Schulter. »Sei still, Kind. Dein Großpapa kommt bald nach Hause. Du wirst schon sehen. Habe ich nicht Recht, Mr. Hobb?«
»Natürlich!«, stimmte der Diener mit gespielter Fröhlichkeit zu. »Wart’s nur ab!«
Hawkwood entging nicht die dringende Botschaft, die in den Augen des Ehepaars lag. Dieselbe Erwartung las er in dem Blick des kleinen Mädchens, das ihn unentwegt anstarrte. Schließlich, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, wandte die Kleine den Kopf ab und sah fragend zur Haushälterin hoch.
»Na, siehst du, Elizabeth«, sagte Mrs. Hobb lächelnd. »Sei jetzt ein braves Mädchen und geh mit Jessie in die Küche. Sie gibt dir ein Glas Milch, und wenn ich mich nicht
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