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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wohnte, und ihn später vor seinem Haus abzupassen.
    Als mein Blick auf die Marktkirche fiel, kam mir ein ungleich klügerer Gedanke. Morgen war Sonntag, und alles was Rang und Namen hatte, würde sich zur Feiertagsliturgie versammeln. Ein Kirchendiener, der mit dem Scheuern des Tors zugange war, bestätigte mir, daß der Gottesdienst hier und nicht in der Stiftskirche stattfinden würde.
    Nicht besänftigt, wohl aber gewiß, daß nichts mich in der Erfüllung meiner Pflichten aufhalten würde, machte ich mich auf den Weg zurück ins Dorf. Dante war mir einige Antworten schuldig, etwa, was es mit Schwester Julia auf sich hatte. Ich wollte ihn bei seiner Rückkehr im Gasthof erwarten und zuvor eine Mahlzeit zu mir nehmen.
    Ich betrat die Herberge erneut durch die Hintertür. In der Küche lärmte die Wirtin und rief nach Maria. Obwohl es erst Nachmittag war und Dante fraglos noch durch die Wälder des Kopfelbergs streifte, pochte ich an seiner Tür.
    Ich hätte kaum erstaunter sein können, als sogleich geöffnet wurde – und ein Gesicht erschien, das nicht dem Florentiner gehörte.
    Ein Mann stand im Türrahmen, schwer wie ein Bär, rotwangig und mit ebensolcher Haarfarbe. Seine Nase schien mir breit wie ein Pferderücken, zu ihren Seiten wölbten sich Tränensäcke wie Satteltaschen. Es war ein Kerl von wahrlich übermenschlichen Maßen, mit einer Trommel von Bauch und muskelbepackten Oberarmen.
    »Ja?« fragte er rauh. Seine Stimme war kraftvoll, aber nicht laut.
    »Verzeiht«, sagte ich und faßte mich sogleich. »Ich glaubte, in dieser Kammer jemand anderen vorzufinden.«
    »Ihr meint den Florentiner?«
    »Eben den.«
    »Wie ist Euer Name?« grollte er.
    »Robert von Thalstein.«
    Er nickte, als habe er dies erwartet, und zog sich mit einem mürrischen Knurren zurück ins Zimmer. »Wartet«, sagte er.
    Einen Augenblick später stand er erneut vor mir und hielt mir einen braunen Beutel aus edlem Stoff entgegen, ganz so, wie ich ihn in Dantes Gepäck vermutet hätte. »Für Euch. Euer Freund gab ihn mir vor seiner Abreise.«
    »Abreise?« fragte ich erstaunt und vergaß darüber ganz, den Beutel entgegenzunehmen.
    Der Mann fuchtelte daraufhin wild mit dem Ding vor meinem Gesicht, so daß ich eilig danach griff und das schwere Bündel an mich zog.
    »Er ist heute mittag fort«, sagte der Mann. »Und bevor Ihr fragt: Ich weiß nicht wohin. Hab nur seine Kammer übernommen, mehr nicht.«
    Dante war fort? Gestern abend erst hatte er noch davon gesprochen, seine Erkenntnisse gegen die meinen auszutauschen. Und nun war er abgereist. Zweifel stiegen in mir auf, doch ich verwarf sie schleunigst. Wir waren keine engen Freunde gewesen, ich wußte nichts über ihn. In Anbetracht dessen war es nicht weiter verwunderlich, daß er abreiste, ohne Abschied zu nehmen. Wenngleich mich sein Verschwinden, ich muß es gestehen, durchaus bekümmerte.
    Vielleicht würde der Inhalt des Beutels Aufschluß über die unerwartete Änderung seiner Pläne geben.
    Bevor ich mich jedoch abwandte, um in mein Zimmer zu eilen und das Geheimnis zu lüften, fragte ich noch:
    »Herr, Ihr wißt nun, wer ich bin. Seid so freundlich, und nennt auch Euren Namen.«
    Der Mann blinzelte zweifelnd, dann nickte er erneut.
    »Nikolaus Meister, Bauherr der Mysterienbühne auf dem Marktplatz.« Damit verabschiedete er sich, schloß die Tür und schob den Riegel vor.
    Ich verwarf jeden Gedanken an den seltsamen Kerl, sobald ich in meiner Kammer war, Dantes Beutel geöffnet und seinen Inhalt erblickt hatte. Ich mochte kaum glauben, was ich da entdeckte. Mit beiden Händen griff ich hinein – halb erfreut, halb verwundert –, um den Bronzeschädel des Albertus ans Licht zu heben.
    Ehrfurchtsvoll hielt ich mir das wertvolle Haupt vors Gesicht und schaute direkt in seine geheimnisvoll schimmernden Augen, als wäre der Schlüssel zu diesem und jedem anderen Rätsel dort nachzulesen. Mit einer Hand hielt ich den Kopf, mit der anderen strich ich bedächtig über die markanten, knöchernen Züge, fuhr die Linien der Wangenknochen und Lippen nach. Plötzlich aber schien mir die Art, wie ich ihn am Hals gepackt hatte, höchst anmaßend, und so stellte ich ihn geschwind auf dem kleinen Holztisch ab.
    Ich sah noch einmal in den offenen Beutel und erkannte ohne Erstaunen auf seinem Grund ein gefaltetes Schriftstück, daneben eine schwere Papierrolle. Ich zog beides hervor, vergewisserte mich, daß nichts weiteres in dem Beutel lag, und schlug als erstes das gefaltete

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