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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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holen.
    Und dann? Was, wenn es mir wirklich gelänge?
    Von Schwalenberg mußte mir als Mann des Herzogs Unterschlupf gewähren, ob er wollte oder nicht. Doch hatte ich einige Zweifel, ob ich in seinem Haus wirklich in Sicherheit war. Wer sollte die aufgebrachten Bürger daran hindern, es zu stürmen? Ich allein war ein erbärmlicher Gegner für Dutzende von ihnen, und der alte Statthalter war nicht nur wahnsinnig, sondern noch dazu verletzt. Beide Beine habe er sich bei seinem letzten Flugversuch gebrochen, hatte von Wetterau gespottet. Nein, der Alte würde mir keine Hilfe sein. Also hieß es ausharren bis zur Ankunft des Herzogs. Dann, und davon war ich überzeugt, würde sich alles richten.
    Bis dahin aber sollte noch viel Zeit verstreichen. Ein halber Tag, eine Nacht und noch ein halber Tag würden vergehen, ehe Heinrich und Althea Hameln erreichten. Zeit genug, mir durch die Folter ein Geständnis abzuringen – vorausgesetzt, man brachte mich nicht gleich zur Strecke.
    Unendlich behutsam blickte ich um die Mauerkante nach rechts und links. Niemand war zu sehen. Erstmals fiel mir auf, daß heute keiner an den Häusern arbeitete. Von Wetterau mußte alle Männer zur Fertigstellung der Bühne abgezogen haben.
    In weitem Umkreis standen zerklüftete Bauruinen. Zwischen ihnen mochte es ein Versteck geben, an dem ich sicherer war. Einen Platz ohne Ratten. Mir gegenüber lag ein hoher Holzstapel, dahinter ragten die Mauern eines Hauses empor, dessen Dachstuhl zur Hälfte mit Ziegeln gedeckt war. Vielleicht gelang es mir, mich dort oben im Gebälk zu verbergen. Man würde als erstes alle möglichen Verstecke am Boden durchstöbern, also Gruben, Keller und Mauerwinkel. Hinzu kam, daß der Bau der Bühne weitergehen mußte. Sollte man wirklich weiter nach mir suchen, würden Ludwig und Aribo kaum mehr als eine Handvoll Männer entbehren können, ohne daß von Wetterau es bemerkte. Er hatte mir geglaubt und mich vorbehaltlos laufenlassen; er würde nicht zulassen, daß die Jagd nach einem Unschuldigen sein Werk gefährdete.
    Mit dem Rücken zur Mauer schob ich mich langsam aus der Hocke nach oben, bis ich aufrecht stand. Die Strecke bis zum Holzstapel und dem Haus dahinter mochte etwa vier Mannslängen betragen. Bis ich sie überquert hatte, war ich schutzlos allen Blicken ausgeliefert, die mich aus einer Vielzahl von Richtungen treffen mochten. Meine Verfolger konnten überall sein.
    Ich sprang vorwärts, machte einen gewaltigen Satz und glaubte bereits, leichtes Spiel zu haben, als ich mir plötzlich von neuem der Wunden in meinen Beinen bewußt wurde. Der Schmerz beim Laufen war entsetzlich. Ich strauchelte, fing mich gerade noch ab und warf mich hinter den Holzstapel. Dabei entrang sich meinen Lippen ein gequältes Stöhnen. Mit geschlossenen Augen, unfähig mich zu regen, blieb ich im Schlamm liegen. Ich bete, daß niemand in der Nähe war. Das Stöhnen und mein Aufprall im Dreck waren weithin zu hören gewesen.
    Die aufgestapelten Holzbalken boten mir nach vornehin Schutz. In meinem Rücken befand sich die Mauer des Hauses, in dessen Giebel ich mich verbergen wollte. Von den Seiten her aber war ich für jeden, der vorbeikam, deutlich zu sehen. Mir blieb keine andere Wahl, ich mußte fort von hier.
    Es gelang mir, mich erneut auf die Füße zu ziehen, die vordere Mauer zu umrunden und mich an der Innenseite gegen den schattigen Stein zu lehnen. So verharrte ich eine Weile, betrachtete die grellen Schlieren, die von innen über meine Lider tanzten, und kam schließlich so weit zu Kräften, daß ich mir zutraute, hinauf ins Gebälk zu steigen. Ich schlug die Augen auf – - und sah die Frau.
    Sie blickte mir direkt ins Gesicht, wenngleich ihr eigenes im Schatten einer weiten Kapuze verborgen war. Sie trug einen schwarzen Umhang, den sie gegen die Kälte eng um ihren schlanken Körper gezogen hatte.
    Zuerst glaubte ich, es sei die gespenstische Erscheinung, die mich schon seit Tagen quälte, die Frau mit dem schwarzen Schleier. Sie war zurückgekommen, um mich zu verhöhnen. Doch als sie nun die Kapuze zurückzog, hätte mein Erstaunen nicht größer sein können.
    »Ich will Euch helfen«, sagte Maria und kam langsam auf mich zu. In dem schwarzen Mantel hätte niemand sie für eine einfache Dienstmagd gehalten, vielmehr brachte er ihre Schönheit erst zu voller Geltung. Ihr helles Gesicht und die strohblonde Mähne hoben sich ab wie Seerosen von einem dunklen Teich. Wie sie nun vor mir stand, strahlte sie etwas Edles,

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