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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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abend. Wartet auf meine Rückkehr.«
    Dann ging sie, und ihr schwarzer Mantel wehte hinter ihr her wie die ferne, lange Nacht, mit der sie zurückkehren wollte.
    ***
    Sie kam, wie sie es versprochen hatte. Ich ließ mich aus den Dachbalken herab, wo ich die vergangenen Stunden verbracht hatte. Jeder Teil meines Körpers schmerzte, angefangen von den Gelenken bis hinauf zum Kopf. In meinem Schädel schien ein wütender Wespenschwarm zu toben, ich hörte ein Summen und Pochen in den Ohren, und etwas schien von innen auf mich einzustechen wie mit glühenden Eisen. Allein die Wunden an meinen Beinen hatten sich gebessert. Entgegen meiner Erwartung hatten sie sich nicht entzündet. Weshalb sollte nicht auch mir ein wenig Glück beschieden sein?
    Meine Freude über Marias Rückkehr legte sich, als ich bemerkte, daß sie weder Bündel noch Schwert bei sich trug. Als ich sie danach fragte, sagte sie: »Meine Großmutter hat über Eure Kammer gewacht wie ein bissiger Köter. Niemand durfte herein, weder die Männer, die Zutritt verlangten, noch ich selbst. Ich glaube, sie hält große Stücke auf Euch.«
    »Kaum zu glauben«, seufzte ich. In meiner Lage wäre es mir lieber gewesen, die Alte hätte alles aus dem Fenster geworfen, so daß Maria es nur noch einsammeln mußte. Aber, vergebens – ich würde also noch einmal zurück zur Herberge gehen müssen.
    »Und das Pferd?« fragte ich.
    Sie lächelte stolz. »Am Waldrand, wie Ihr es verlangt habt.«
    »Das ist gut. Ich danke dir, Maria.«
    Sie trat auf mich zu und hauchte mir einen Kuß auf die Lippen. »Ich weiß, daß ich Euch nicht für mich gewinnen kann, Herr, verzeiht mir. Doch einen Kuß werdet Ihr mir nicht verübeln, oder?«
    Ich drückte sie in einer Aufwallung von Freundschaft an mich und umarmte sie. Ich küßte sie nicht, aber ich spürte, wie sie in meinen Armen erbebte.
    »Dies ist schwerlich die Zeit für Leidenschaft«, sagte ich sanft.
    Sie löste sich von mir und nickte. »Ihr habt recht.«
    Vorsichtig fragte ich: »Was meintest du am Nachmittag, als du sagtest, vielleicht würdest du mir helfen?«
    Sie erstarrte, von einem Augenblick zu nächsten.
    »Ich …«, sagte sie, stockte und begann von neuem: »Ich werde Euch etwas zeigen. Doch falls man Euch je fragen sollte, wie Ihr davon erfahren habt, nennt nicht meinen Namen. Hört Ihr – niemals!«
    »Du hast mein Wort darauf«, erwiderte ich. »Ich schwöre es bei meiner Ehre.«
    Sie nickte, zögerte trotzdem noch einen weiteren Augenblick, dann drehte sie sich um und schlug dabei die Kapuze über ihren Kopf. Haar und Gesicht verschwanden im Schatten. Ich folgte ihr, als sie das Gebäude verließ. Draußen herrschte tiefe Nacht. Vereinzelte Sterne schienen durch Risse in der Wolkendecke, und der Mond glühte als weiße Sichel über der Stadt. Das Licht, das sie spendeten, reichte eben aus, um nicht gegen die Mauern zu laufen, die ohne ersichtliche Ordnung aus dem Schlamm ragten. Maria sprach kein Wort, während sie mich zielsicher über das Gelände führte. Stille hing zwischen den Bauruinen, nur hier und da raschelte es im Wasser, wo Rattenschwärme in der Dunkelheit jagten.
    Nach einer Weile blieb Maria stehen und hielt mich mit einer Handbewegung zurück. Ich wollte fragen, warum wir anhielten, doch sie bedeutete mir zu schweigen. »Still!« zischte sie leise.
    Wir hatten den befestigten Weg erreicht, der den Bausumpf von Norden nach Süden durchschnitt und den Marktplatz mit dem Händlerviertel verband. In der Finsternis waren leise Stimmen zu hören.
    Maria beugte sich an mein Ohr. Der Stoff der weiten Kapuze streifte mein Gesicht. »Man sucht noch immer nach Euch«, flüsterte sie. »Wir müssen achtgeben.«
    Plötzlich war sie es, die sagte, was zu tun war. In meiner Lage, gejagt von einer ganzen Stadt, war ich froh, eine ortskundige Führerin zu haben. Ich war bereit, jede ihrer Anordnungen zu befolgen.
    Behutsam schlichen wir weiter, ganz leise, ganz vorsichtig. Die Stimmen entfernten sich auf dem Weg nach Süden, und es gelang uns, unbemerkt auf die andere Seite zu wechseln. Dort setzte sich die von Menschenhand geschaffene Wildnis des Bausumpfes fort, und wir beeilten uns, in seinen Schatten unterzutauchen.
    Zur Linken sah ich in weiter Entfernung den Turm der Marktkirche, der sich ehern vom Nachthimmel abhob. Mir schien, daß wir den Platz in weitem Kreis umrundeten.
    »Das stimmt«, antwortete Maria auf meine Frage. »Was ich Euch zeigen will liegt im Nordosten, nahe der Stadtmauer.«
    Das

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