Der rauchblaue Fluss (German Edition)
sie los, auch wenn ihr Silbergehalt gleich blieb. Neue Münzen dagegen, sogenannte »First-chop-Dollars«, waren so begehrt, dass ihr Wert höher angesetzt wurde, als es ihrem Gewicht entsprach.
Obwohl allgemein in Gebrauch, kam der spanische Silberdollar hauptsächlich bei kleinen alltäglichen Geschäften zum Einsatz; kommerziell wichtige Transaktionen wurden gewöhnlich mit chinesischen Münzen getätigt, deren kleinste das »Käsch« (oder chen) war. Sie bestanden aus Zink und Kupfer und hatten eine quadratische Öffnung in der Mitte, sodass man sie auffädeln konnte. Eine Schnur mit hundert Käsch wurde »Mas« genannt, und wenn man einkaufen ging, nahm man üblicherweise eine oder zwei Schnüre mit, die man wie Armreife um Handgelenk und Arm trug.
Das Käsch war eine schöne Münze, fand Nil, aber sie war so schwer, dass man sie nicht in großen Mengen mit sich führen konnte, und ihr Wert war gering, noch geringer als der einer indischen Paisa. Eine wirklich wertvolle chinesische Münze war dagegen das Tael. Es enthielt etwa ein Drittel mehr Silber als der spanische Dollar und war bei großen Transaktionen das am häufigsten gebrauchte Zahlungsmittel.
Dass Bahram eine Börse mit Taels statt mit Dollars verlangt hatte, musste einen bestimmten Grund haben, aber Nil konnte sich nicht denken, welchen: Der Betrag war nicht hoch genug für die Bezahlung einer größeren Warenmenge, andererseits aber viel zu hoch für einen alltäglichen Einkauf.
Die Angelegenheit mit irgendjemandem im Hong zu besprechen kam natürlich nicht infrage, und so ging Nil davon aus, dass ihm die Lösung des Rätsels für immer verborgen bleiben würde. Als er jedoch etwas später, nachdem er die neunzig Tael in einer Lederbörse ins Schlafzimmer des Seths gebracht hatte, in den daftar ging, um seine Unterlagen zu holen, entdeckte er auf seinem Schreibtisch eine seltsam verschlüsselte Botschaft. Das Gekrakel auf dem Blatt, das er als Löschpapier benutzte, erkannte Nil bei genauerem Hinsehen als die nach rechts geneigte Schrift des Seths.
Da Bahrams eigener Schreibtisch mit Tusche bespritzt war, hatte er seine Antwort auf die erhaltene Nachricht an Nils Schreibtisch geschrieben und die Tusche mit dem Löschblatt getrocknet. Als Nil das Blatt nun in Augenschein nahm, konnte er einzelne Wörter entziffern:
… Innes …
… zu bestätigen … wird Börse bringen … Eho Hong um elf …
Gruß Bahr…
Bahram wusste genau, was er an diesem Morgen zu tun hatte, Vico war die Details sorgfältig mit ihm durchgegangen. Er sollte James Innes in dessen Wohnung in der Creek-Faktorei aufsuchen . Das Geld sollte erst nach Lieferung der ersten Partie Kisten übergeben werden: Es war nicht als Bezahlung für Innes bestimmt – die würde er später bekommen – , sondern als cumshaw für die Beamten, die den Transport möglich gemacht hatten. Diese erste Lieferung sollte ein Probelauf sein, und Vico würde sie nicht begleiten; er wollte in Whampoa bleiben und dafür sorgen, dass die nächste Partie ordnungsgemäß von der Jolle, mit der sie aus Hongkong gekommen war, auf zwei schnelle Kutter umgeladen wurde.
Vico hatte alles so geplant, dass Bahram sich nur etwa eine Stunde lang in der Creek-Faktorei aufhalten musste. Das war nicht viel, aber Bahram hatte die Creek-Faktorei nie besonders gemocht und wäre froh gewesen, sie noch früher wieder verlassen zu können. Er hatte nie in diesem Hong gewohnt, kannte ihn jedoch mehr als nur flüchtig, denn das Gebäude grenzte unmittelbar an die niederländische Faktorei, in der er sein erstes Quartier in Kanton gehabt hatte. Die beiden Hongs waren nur durch eine Mauer getrennt, hätten aber nicht unterschiedlicher sein können. Während die niederländische Faktorei ein ausgesprochen düsterer Ort war, herrschte in der Creek-Faktorei, die von energischen, willensstarken Freihändlern – Männern wie Jardine und Innes – bewohnt wurde, lärmende Betriebsamkeit.
Ihr Name leitete sich von dem Flussarm her, an dem sie lag; sie war das letzte Gebäude auf dieser Seite Fanqui-Towns, am anderen Ufer standen die Handels- und Lagerhäuser der Hong-Kaufleute. Der Flusslauf verlieh dem Hong einen unverwechselbaren Charakter, denn viele seiner Quartiere hatten eigene kleine Kais und damit direkten Zugang zum Perlfluss.
Ihre Bewohner sagten oft, es gefalle ihnen in der Creek-Faktorei, weil sie unmittelbar am Wasser liege, aber Bahram hatte das nie verstanden. Der sogenannte Fluss war im Grunde nichts anderes als
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