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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Chinesen sie nicht an und belästigten sie auch sonst nicht weiter. Sie wendeten eine andere Taktik an, die sie seither als ihre bevorzugte Waffe gegen die Europäer einsetzen: den Boykott. Sie unterbanden die Lieferung von Vorräten auf die Insel, und bald hatten die Niederländer nichts mehr zu essen und mussten abziehen. Von da an wussten die Chinesen, dass die Europäer vor nichts zurückschrecken würden, um ihr Land in Besitz zu nehmen – und eins muss man den Chinesen lassen: Im Gegensatz zu anderen Orientalen sind sie praktisch denkende Menschen. Wenn ein Problem auftaucht, versuchen sie eine Lösung dafür zu finden. Und das da drüben war ihre Lösung: Fanqui-Town. Fanqui-Town wurde nicht erbaut, weil die Chinesen die Fremden von Kanton fernhalten wollten, sondern weil die Europäer ihnen allen Grund zum Misstrauen gaben.«
    Du kannst Dir nicht vorstellen, liebe Paggli, was für eine belebende Wirkung diese Enthüllungen auf mich hatten. Kanton erschien mir in einem völlig neuen Licht. Wenn ich Jacqua sehen könnte, dachte ich, könnte ich ihm gewiss erklären, dass ich nicht einer dieser Fanquis bin, die mit Kanonen kommen, sondern zu jenen gehöre, die von den Künsten angelockt wurden, von Malerei und Porzellankunst, wie zur Zeit der Tang.
    Glücklicherweise erwiesen sich solche Erklärungen als überflüssig. Denn wer klopfte am nächsten Tag an meine Tür? Jacqua! Sein Arm war verbunden, der Knocheneinrichter hatte ihn geschient, aber das hinderte Jacqua nicht, mich mit einer innigen Umarmung zu begrüßen!
    Du kannst Dir denken, wie froh ich war, als sich herausstellte, dass er mich nicht eine Sekunde mit den gemeinen Kerlen in Verbindung gebracht hatte, die ihn auf dem Maidan angegriffen hatten; er war entsetzt gewesen, als er erfuhr, mit welchen Beschuldigungen seine Kollegen mich überhäuft hatten. Er hatte ihnen heftige Vorwürfe gemacht, und als Entschuldigung hatten sie ein Bild für mich gemalt: Jacqua und ich, Arm in Arm über den Maidan schlendernd. Es ist nicht gerade ein Meisterwerk, aber es ist mir kostbarer als alles, was ich je besessen habe!
    Und so, meine liebe Rose von Pagglesbury, ist alles wieder gut: Mein Freund ist mir zurückgegeben, mein Trübsinn verflogen, und ich bin so glücklich, dass ich gar nicht weiß, wie ich es je über mich bringen könnte, von hier fortzugehen …
    Aber denk nun nicht, meine liebe Paggli, ich hätte Deine Kamelien vergessen – mitnichten ! Sobald der Fluss wieder geöffnet ist, werde ich einen weiteren Vorstoß in Richtung Fa-Ti wagen.
    Ach, und ich kann diese Zeilen nicht abschicken, ohne auf den Vorfall einzugehen, von dem Du mir in Deinem letzten Brief berichtest (Dein kleiner Zwist mit dem Koch der Redruth ). Nimm Dir das nicht zu sehr zu Herzen. Es war keineswegs ein Fehler von Dir, ihm zu sagen, dass es in der Kombüse duftet wie in einer Crêperie! Der Fehler lag ganz allein bei ihm, weil er beleidigt war. Der Bursche kann kein Französisch, vermute ich, und hat nicht verstanden, dass Du ihm ein Kompliment zu seinen Pfannkuchen machen wolltest. Wahrscheinlich hat er sich deshalb aufgeregt, weil er dachte (fälschlicherweise natürlich), Du hättest seine Küche mit einem totti-connah (auf Englisch manchmal vulgär »crappery« genannt) verglichen.
    Ach, Liebes, wie gern hätte ich sein Gesicht gesehen, als Du sagtest, nichts gehe über den Duft frischer Crêpes in der Pfanne. So etwas hatte die Redruth bestimmt noch nicht erlebt!
    Bahram war zwar tief in seinem Glauben verwurzelt, aber er war kein religiöser Eiferer, und die praktischen Anforderungen seines arbeitsreichen Lebens erlaubten ihm nicht, die religiösen Gebote so sorgfältig zu befolgen, wie er es gern getan hätte. Er hatte jedoch immer eine Ausgabe des Khordeh Avesta an seinem Bett liegen, und er ging nie ohne sedre und kusti. Wenn er in Bombay war, begleitete er Shirinbai auf ihrem täglichen Gang in den Feuertempel, und wenn Mullah Feroze predigte, setzte er alles daran, anwesend zu sein. In Kanton kümmerte er sich persönlich um den Altar in seinem Schlafzimmer: Er entzündete täglich Räucherwerk unter dem Bild des Propheten, er sorgte stets für frische Blumen und Früchte, und er achtete darauf, dass die Öllampe immer brannte. Vor allem aber versuchte er auf seine eingestandenermaßen fehlbare Art, sich an die Leitprinzipien zu halten, die ihm in seiner Kindheit eingeimpft worden waren: humata, hukhta, hvarshta – gute Gedanken, gute Worte, gute Taten.
    In seinem

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