Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Anstandsdamen um sie herum, die den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten lassen? Doch ach, vergebens! Die Senhora ist so fromm wie schön, keine Versuchung kann sie zur Untreue verleiten, und so richtet sich die unerlöste Leidenschaft des Malers auf seine Leinwand. Er liebkost sie mit dem Pinsel, er streichelt sie, umschmeichelt sie, gießt in heißem, hellem Strahl sein Herzblut über sie, und siehe, der Same ist gesät, und Leben regt sich in dem Ebenbild. Es erblickt das Licht der Welt wie ein Kind der Liebe, es ist von solcher Schönheit, dass es das Band, das bei seiner Entstehung gewoben wurde, noch vertieft. Und doch … und doch … es ist nichts zu machen, Erfüllung ist undenkbar. Die stets wachsame Gesellschaft hat ein strenges Auge auf die beiden. Aber der Himmel selbst erbarmt sich ihrer Liebe: Der alte Cavalheiro befindet sich, wie schon erwähnt, in einem Stadium fortgeschrittener Hinfälligkeit und überlebt die Fertigstellung des Gemäldes nicht lange (manche sagen, man habe es ihm mit ins Grab gegeben). Nach seinem Hinscheiden bleibt die Senhora in Macao, vorgeblich, um an seinem Grab zu trauern, doch bald kommt die Welt dahinter, dass eine zweite Hochzeit stattgefunden hat: Die Senhora hat Alantsae geheiratet!
Du kannst Dir den Skandal vorstellen, den Klatsch, die Anspielungen – das Paar wird von allen, die es kennt, gemieden, Chinesen wie Europäern und Goanern. Der einst so gefragte Künstler wird zum Paria, der Strom seiner Aufträge versiegt plötzlich, und er muss sich mit dem Malen von Ladenschildern und schauerlichen Wandbildern durchschlagen. Aber die beiden sind nicht unglücklich, denn sie haben ja einander, und bald wird ihre Leidenschaft mit einem kostbaren Geschenk belohnt, einer Tochter: Adelina. Sie erfreuen sich des Kindes und ahnen nicht, dass sich ihr Glück dem Ende zuneigt. Alantsae hat nicht mehr lange zu leben, denn im Gewand des Typhus schleicht sich der Sensenmann heran.
Nach Alantsaes Ableben hält sich die Senhora lange genug über Wasser, um ihre Tochter bis an die Schwelle des Erwachsenenalters zu geleiten, dann sinkt auch sie in ein frühes Grab, und die junge Adelina wird einem Heim der staatlichen Fürsorge überantwortet, in dem Waisen- und Armenkinder ihr Dasein fristen dürfen.
Nun, liebe Paggli, es genügt wohl, wenn ich sage, dass Adelina – oder Adelie, wie sie genannt wurde – kein Mädchen war, von dem zu erwarten stand, dass es sein Leben hinter den Mauern einer mildtätigen Einrichtung zubringen würde. Sie entfloh und wurde später zur berühmtesten Kurtisane Macaos (auf diese Weise, erzählt man sich, wurde Mr. Chinnery auf sie aufmerksam … was man sich sonst noch so erzählt, kannst Du Dir denken!).
Wie es bei gefeierten Schönheiten oft der Fall ist, gab es auch hier viele Männer, denen es nicht behagte, Adelina mit anderen teilen zu müssen. Ein heftiger Kampf entbrannte unter ihren Liebhabern – darunter reiche, mächtige Männer – , den Sieg aber trug einer davon, der einen für die anderen unerreichbaren Vorzug aufzuweisen hatte. Adelie war im Lauf der Jahre zu einer passionierten Drachenjägerin geworden, sie konsumierte große Mengen Opium, und dieser Mann versorgte sie mit dem Rauschgift und erhob Anspruch auf sie. Er war ein Mensch, der wie ein Schatten lebte, namenlos und unsichtbar, bekannt nur als »Älterer Bruder«. In seiner Obhut wurde Adelie, wie Du Dir vorstellen kannst, zum Vogel im goldenen Käfig, einsam und allein, abgeschnitten von der Welt, die sie gekannt hatte. So besitzergreifend war ihr neuer Herr, so eifersüchtig auf ihre Treue bedacht, dass er sie fortbrachte, auf ein Anwesen in Kanton, wo er sie aufsuchte, wenn seine Geschäfte es erlaubten. Doch Männer seines Schlags können, sosehr sie es auch wünschen mögen, ihrer Geliebten selten viel Zeit widmen. Wenn er ihr nicht persönlich seine Aufwartung machen konnte, schickte er ihr Geschenke – Geld, Juwelen, Opium – durch einen seiner vertrauenswürdigsten Stellvertreter, und dieser junge Mann wurde zu ihrer einzigen Verbindung mit der Außenwelt, ihrem Rettungsanker.
Wozu dies führte, brauche ich wohl kaum zu sagen. Es kam, wie es kommen musste, und die beiden wurden ertappt. Der junge Mann verschwand spurlos, und Adelina – nun, wie es heißt, wollte sie ohne ihren Liebsten nicht mehr weiterleben und warf sich in den Fluss …
Nachdem Du die Geschichte gelesen hast, liebe Paggli, wirst Du Dir vielleicht dieselben Fragen stellen wie ich: Warum will
Weitere Kostenlose Bücher