Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Mr. Chan das Porträt haben? Was bedeutete ihm Adelie? Wer ist er? Und auf der Suche nach Antworten wirst Du zweifellos auch zu denselben Mutmaßungen (oder Erkenntnissen?) gelangen wie ich, verwirrenden Rückschlüssen, die sich zwangsläufig ergeben. Glaub aber nun nicht, das würde mich davon abhalten, meinen Auftrag auszuführen oder meiner Pflicht gegenüber Mr. Penrose nachzukommen. Dein armer Robin ist kein so furchtsames Wesen, wie Du vielleicht denkst …
In vier Wochen, meine liebe, liebe Gräfin von Pagglenburg, bekommst Du den nächsten Brief von mir. Bis dann!
Im Laufe des Februar trafen tröpfchenweise Meldungen über die Reise des neu ernannten Hochkommissars und kaiserlichen Bevollmächtigten im Süden ein. Sie erreichten das Komitee meist über Samuel Fearon, den Übersetzer der Kammer.
Mr. Fearon war ein blonder, gertenschlanker junger Mann, seine Berichte waren bei einigen Mitgliedern des Komitees sehr begehrt, und oft lief eine freudige Erregung durch den Raum, wenn er den Klub betrat. Mr. Slade umwarb ihn besonders eifrig, und eines Tages, als Mr. Fearon an ihm vorbeiging, hakte er ihm den Griff seines Spazierstocks in die Ellbogenbeuge und zog ihn förmlich an seinen Tisch heran. »Na, mein Junge, haben Sie heute was Neues für uns?«
»Allerdings, Mr. Slade.«
»Dann setzen Sie sich doch zu mir, ich würde es gern aus Ihrem eigenen Munde hören. Mr. Burnham wird Ihnen sicher gern Platz machen. Nicht wahr, Benjamin?«
»Aber selbstverständlich.«
Mr. Fearon nahm also an Mr. Slades Tisch Platz, an dem auch Mr. Dent und Bahram saßen. Was er den anderen sodann eröffnete, versetzte alle in Erstaunen: Der Kommissar bestreite seine Reisekosten offenbar aus eigener Tasche! Und mehr noch – er unternehme beträchtliche Anstrengungen, um zu verhindern, dass dem Schatzamt unnötige Kosten entstünden.
Ungläubige Ausrufe folgten auf seine Worte. Die Vorstellung, dass ein Mandarin es ablehnte, sich auf Kosten der Staatskasse zu bereichern, erschien allen am Tisch geradezu grotesk. Viele Köpfe – auch Bahrams – nickten zustimmend, als Mr. Burnham meinte, der Kommissar tue nur so, als ob, um Leichtgläubige zu täuschen. »Lassen Sie’s sich gesagt sein: Der Druck wird, wenn es so weit ist, umso stärker sein, weil er subtiler ausgeübt wird.«
Die seltsame Nachricht war noch nicht verdaut, da brachte Mr. Fearon einen weiteren verblüffenden Bericht herein.
Diesmal gelang es Mr. Slade zu seinem Leidwesen nicht, den Übersetzer mit Beschlag zu belegen – Mr. Wetmore kam ihm zuvor. »Ah, Fearon!«, rief der zukünftige Präsident, »haben Sie was Interessantes für uns?«
»Ja, Sir, in der Tat.«
Augenblicklich leerten sich die anderen Tische, und alle versammelten sich um den Übersetzer. »Und was, Fearon? Was haben Sie gehört?«
»Wie ich erfahre, Sir, verzögert sich die Ankunft des Hochkommissars.«
»Ach ja?«, sagte Mr. Slade bissig. »Leidet er vielleicht unter den Nachwirkungen einer allzu ausschweifenden Neujahrsfeier?«
»Keineswegs, Sir«, antwortete Mr. Fearon. »Ich glaube, er berät sich mit Gelehrten und Akademiemitgliedern, besonders solchen, die über Kenntnisse überseeischer Reiche verfügen.«
Auch das wurde mit erstaunten Ausrufen quittiert. Dass es chinesische Gelehrte gab, die sich für die Welt draußen interessierten, erschien vielen Komiteemitgliedern unfasslich. Die meisten waren sich eher mit Mr. Slade einig, der nun in schallendes Gelächter ausbrach und sagte: »Meiner Treu! Sie werden sehen, meine Herren, das wird eine Neuauflage der Rhabarbergeschichte.«
Damit erinnerte er die Anwesenden daran, dass frühere Bemühungen der Mandarine, sich über die Gepflogenheiten der rothaarigen Barbaren kundig zu machen, fast immer zu den absurdesten Rückschlüssen geführt hatten, wie beispielsweise in der Sache mit dem Rhabarber. Dieses Gemüse spielte als Exportartikel in Kanton kaum eine Rolle, doch die einheimischen Beamten waren aus unerfindlichen Gründen zu der Überzeugung gelangt, dass Rhabarber unverzichtbarer Bestandteil des europäischen Speisezettels sei und die Fanquis ohne ihn an Verstopfung sterben würden. Mehr als einmal hatten sie in Konfliktfällen ein Ausfuhrverbot für Rhabarber verhängt. Die Tatsache, dass noch nie ein Fanqui von nicht purgierter Materie aufgequollen oder gar geplatzt war, hatten sie offenbar nicht zum Anlass genommen, ihre Theorie in Zweifel zu ziehen.
Zur Illustration zitierte Mr. Slade eine Passage aus einer
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