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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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ab, ergriff einen Stoffbeutel und übergab ihn mir. »Ihr Honorar, Mr. Chinnery.«
    Trotz seiner Schroffheit war ich unendlich erleichtert, dass meine Arbeit seinen Ansprüchen genügte. »Vielen Dank, Sir«, sagte ich ehrlich erfreut (denn ich will Dir nicht verhehlen, liebe Paggli, dass ich seit einigen Wochen manchmal ein bisschen kurz angebunden bin).
    »Gut«, sagte er, »und nachdem ich jetzt mein Bild habe und Sie Ihr Honorar haben, möchten Sie vielleicht eine Pfeife mit mir rauchen?«
    Erst jetzt sah ich, dass sich auf dem Tablett auch eine Pfeife, eine Nadel, eine Öllampe und ein Elfenbeinkästchen befanden. Der Verwendungszweck dieser Gegenstände war mir nicht unbekannt – Ähnliches hatte ich im Hause meines Onkels oft genug gesehen. Ich wusste auch, dass es bei vielen Chinesen als höflich gilt, mit einem Gast die eine oder andere Opiumpfeife zu teilen. Ich wusste nicht, mit welcher Begründung ich hätte ablehnen können, aber ich war auch nicht so verwegen, jegliche Vorsicht fahren zu lassen. Als Mr. Chan mir die Pfeife gab, nahm ich nur einen kleinen Zug, in der Erwartung, dass er im Hals ebenso brennen würde wie Tabakrauch. Doch es war völlig anders: Der Rauch war weich und schwer wie teures Öl und auch genauso seidenglatt. Nicht weniger überraschte mich die schnelle Wirkung. Im nächsten Moment, so kam es mir zumindest vor, schwebte ich zu dem Glyziniendach hinauf.
    Opium sei unberechenbar in seiner Wirkung, hatte ich gehört, die meisten mache es stumm und apathisch, manche aber würden davon ganz uncharakteristisch redselig. Der Beweis dafür trat mir sogleich vor Augen, denn während mir die Zunge schwer wurde, schien Mr. Chan gesprächiger zu werden. Wie es kam, weiß ich nicht genau, aber plötzlich erzählte er mir von seiner drei Jahrzehnte zurückliegenden Englandreise.
    Ich hörte mit geschlossenen Augen zu, aber nicht ein einziges Wort entging mir – nur war es nach einer Weile so, als hörte ich nicht zu, sondern sähe vielmehr, wie sich sein Bericht vor meinen Augen entfaltete. Die wundersame Macht der Droge bewirkte, dass ich jetzt ein fünfzehnjähriger Gärtner namens Ah Fey zu sein schien, ein einsamer junger Chinese, der auf dem Deck eines Schiffes der Ostindien-Kompanie westwärts über die Meere gen England reiste.
    Meine Pflanzenbehälter sind mir so teuer wie das Leben selbst, ich wässere sie täglich, ich schlafe nachts neben ihnen. Wenn es zu heiß wird, baue ich ihnen aus Kleidungsstücken von mir kleine Hütten, wenn Gewitter und Stürme uns heimsuchen, schirme ich sie mit meinem eigenen Leib ab. Immer wieder macht mir die Besatzung das Leben schwer. Es sind teils Laskaren, teils englische Seeleute, und oft gehen sie einander an die Gurgel, aber eines eint sie: ihr Hass auf mich – für sie bin ich kaum mehr als ein Affe. Als wir den Äquator überqueren, unterwerfe ich mich gefügig ihren Ritualen, lasse mich untertauchen und beschmieren, doch plötzlich finde ich mich, alle viere von mir gestreckt, gefesselt auf dem Deck wieder. Dann höre ich ein Schaben: Sie schneiden mir mit einem stumpfen Messer meinen Zopf ab. Anfangs wehre ich mich, doch das macht die Schmerzen nur noch schlimmer, und so bleibe ich still liegen, bis sie fertig sind. Aber ich merke mir, wer sie sind, und hinterher plane ich meine Rache. Rädelsführer ist ein vierschrötiger Vortoppmann, und eines Nachts während der Hundewache, als alle im Halbschlaf liegen, schleiche ich mich zu seinem Fußpeerd und scheuere es dünn. Zwei Tage später, mitten in einem Sturm, reißt das Tau und er stürzt ins Meer …
    Ich bringe so viele chinesische Pflanzen in die Kew Gardens wie noch nie jemand vor mir. Es sind Pflanzen, die ich für Mr. Kerr in Kanton gesammelt habe. Er selbst hat so wenig Ahnung davon, wo sie zu finden sind, wie davon, wo man Opium bekommt – in allem bin ich sein Versorger und Vermittler. Das Verdienst an der erfolgreichen Lieferung der Pflanzen wird jedoch nicht mir zugeschrieben, sondern ihm; ich bin nur der Affe, der mit ihnen gereist ist.
    Ich sage nichts. Fast bin ich stumm geworden. Monate sind vergangen, seit ich mich zum letzten Mal richtig habe verständlich machen können. Der Vorarbeiter, bei dem ich wohne, verabreicht seinen Kindern täglich eine Tracht Prügel, und auch ich bin davon nicht ausgenommen. Das Essen ist eine widerliche Pampe, und ich habe ständig Hunger. Kew ist für mich kein Garten, sondern eine vernachlässigte Wildnis. Eines Nachts breche ich in ein

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