Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Unterschiede von Haaren und Borsten vermehrte, keine Minute war verschwendet, wenn wir erforschten, wie sich der schlanke, aber stabile Schaft anfühlte, um keine Stunde tat es uns leid, wenn wir lernten, dem Pinsel die wundersame Leuchtkraft zu entlocken, die in ihm verborgen liegt.
Ich bin, wie Du weißt, liebe Paggli, stets lernbegierig , und Jacqua hat mir Dinge beigebracht, die einfach genial sind (wie ich ihn um seine Ausbildung und Erfahrung beneide!). Ich habe gelernt, durch subtile Veränderungen des Rhythmus, in dem ich meine Hand bewege, ganz ungewöhnliche Effekte zu erzielen, ich habe erfahren, wie die Lebensenergie des Körpers durch Steuerung des Atems in jede Bewegung des Pinsels gelenkt werden kann, ich wurde in die meditative Kunst eingeführt, den Geist leer zu machen und sich zu sammeln, um möglichst viel aus dem Moment des Angriffs herauszuholen. Ich habe gelernt, meine Pinselstriche so abzustimmen, dass sie sich zu einer Offenbarung fügen, und der letzte krönende Pinselschwung die Essenz des schöpferischen Akts einfängt und zugleich ausdrückt.
Doch wozu leugnen, dass wir auch häufig abgelenkt wurden? Es gab so viel zu lernen, dass der schönen Adelina mitunter nicht die Zuwendung zuteil wurde, die ihr gebührte. Erst vor wenigen Tagen entdeckte ich, dass noch die Draperien und ihre Schuhe fehlten, dass der Hintergrund noch mit dem runden Fenster und dem Blick auf die fernen Berge ausgefüllt werden musste und der Teetisch nur ein Bein hatte! Wir stürzten uns mit Feuereifer in die Arbeit und schufteten Tag und Nacht – und mit Erfolg, denn als ich gestern Morgen aufwachte, war das Bild fast fertig! Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn meiner Rechnung nach musste an diesem Tag Ah-med bei mir im Hotel erscheinen. Ich hatte also keine Zeit zu verlieren und sprang aus dem Bett, um noch letzte Hand an das Bild anzulegen. Aber so etwas nimmt natürlich kein Ende, denn kaum hat man einen Farbtupfer hier angebracht, verlangt er zwingend nach einem Gegengewicht dort , und ich hätte noch stundenlang so weitermachen können, hätte mich nicht ein Klopfen an der Tür unterbrochen.
Es war der freudlose Mr. Markwick mit einer Nachricht, die soeben für mich abgegeben worden war. So etwas kommt bei mir nicht oft vor, und meine Freude verdoppelte sich noch, als ich Charlie Kings Siegel erkannte! Es war eine Art Einladung: Der neunzehnte März sei der Todestag seines Freundes James Perit, der vor sieben Jahren in Kanton verstorben sei, und an diesem Tag pflege er nach French Island zu fahren, um Blumen auf sein Grab zu legen. Ursprünglich habe er schon am Morgen aufbrechen wollen, aber dringende Sitzungen hätten seine Pläne durchkreuzt, und nun habe er vor, am späten Nachmittag zu fahren. Wenn ich Zeit und Lust hätte, ihn auf diesem Ausflug zu begleiten, werde er mir gern einen Platz in seinem Boot reservieren usw. usw.
Um nichts in der Welt hätte ich es abgelehnt, an einer solchen Mission teilzunehmen! Ich schrieb sogleich meine Zusage und hätte sie auch persönlich abgegeben, wäre nicht genau in diesem Augenblick Ah-med erschienen. Es war jedoch noch früh am Tag, und da ich mir sicher war, rechtzeitig für den Ausflug wieder zurück zu sein, vertraute ich meinen Brief einem Boten an. Dann eilte ich wieder nach oben, um meine Leinwand fertig zu machen, und als sie gut in dicke Schichten Papier verpackt war, gingen wir los, Ah-med vorneweg.
Und wohin diesmal, wirst Du Dich fragen. Diese Frage beschäftigte auch mich am meisten, und als ich sie Ah-med stellte, erfuhr ich, dass unser Ziel wieder Fa-Ti war. Doch diesmal verlief die Fahrt ganz anders, es war eine seltsam verstohlene Angelegenheit und daher nicht ohne einen kleinen frisson (oder soupçon ? Ich kann es mir nie merken). Das Boot war größer als beim ersten Mal, es hatte ein Deckshaus, in dem wir die meiste Zeit saßen, sodass uns die Polizisten, die uns von Zeit zu Zeit anhielten, um die armen Schiffer nach Ziel und Zweck der Fahrt zu befragen, nicht sehen konnten.
Du wunderst Dich vielleicht über diese erhöhte Wachsamkeit, deshalb muss ich Dir erklären, dass in den letzten Wochen, während Jacqua und ich so freudig in unsere eigenen Angelegenheiten vertieft waren, das übrige Kanton mit ganz anderen Dingen beschäftigt war. Ich hatte wenig darauf geachtet, was in der Stadt geschah, aber ganz entgangen war es mir nicht, weil Zadig Bey so freundlich war, mir ab und zu ein paar Informationsschnipsel zukommen zu lassen.
Der
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