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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Consoo House gesagt hat, man werde ihn einen Kopf kürzer machen, wenn wir nicht nach seiner Pfeife tanzen. Aber Howqua ist, wie wir sehr wohl wissen, ein gewiefter Geschäftsmann, und er wird sagen, was immer ihm nötig erscheint, um seinen Profit zu sichern.«
    Mr. Wetmore unterbrach ihn ermattet: »Ich versichere Ihnen, Mr. Slade, Howqua ist der festen Überzeugung, dass sein Kopf als erster rollen wird. Es hat mir in der Seele wehgetan, ihn im Consoo House zu sehen – nie habe ich einen herzzerreißenderen Anblick erlebt.«
    »Also bitte, Wetmore!«, blaffte Mr. Slade. »Ersparen Sie uns diese bulgarische Schwermut! Vergessen Sie nicht, dass Sie Präsident dieser Kammer sind und keine alte Schachtel, die eine Matronenversammlung leitet.«
    »Ihre Sprache, Mr. Slade, geziemt sich nicht für ein Mitglied des Komitees«, entgegnete Mr. Wetmore steif. »Aber angesichts der Dringlichkeit der Angelegenheit, mit der wir uns hier befassen, will ich es Ihnen noch einmal durchgehen lassen. Eines sollten Sie jedoch nicht in Zweifel ziehen: dass Howqua, Mowqua und einige andere Hong-Händler vor Angst wie gelähmt waren, als wir sie im Consoo House gesehen haben.«
    »Howqua?«, unterbrach ihn Dent mit einem schrillen, etwas gezwungenen Lachen. »Ich habe Howqua doch erst heute Morgen in der Old China Street getroffen, deswegen bin ich ja zu spät gekommen. Er hat gesagt, er und seine Kollegen von der Cohong hätten gewisse Drohungen vom Yum-chae erhalten, aber das seien eben nur Drohungen, mehr nicht. Howqua ist ein außerordentlich kluger Mann, der seine Befürchtungen mit Blick auf Mr. King und Mr. Wetmore vermutlich stark übertrieben hat, da er ja weiß, dass diese beiden – wie soll ich sagen – etwas zarter besaitet sind, als man es von Männern normalerweise annimmt. Bei mir oder den meisten anderen von uns würde er das gar nicht erst versuchen. Als ich ihm über den Weg gelaufen bin, schien er bester Stimmung, mein Wort darauf.«
    Schweigen senkte sich über den Tisch, und alle versuchten, sich über die Bedeutung des Gehörten klar zu werden. Dann rief Mr. King, der rot angelaufen war: »Das ist eine schamlose Lüge, Mr. Dent!«
    Mr. Slade stieß ein vernehmliches Zischen aus. »An Ihrer Stelle, Mr. King«, sagte er, »würde ich aufpassen, was ich sage. Es gibt gewisse Worte, die eine Art Kurzschrift namens Pistolografie beinhalten.«
    »Wie auch immer, Sir«, sagte Mr. King, »ich werde aus Furcht davor bestimmt nicht schweigen. Auch ich habe Howqua vor Kurzem getroffen, und ich versichere Ihnen, seine Angst war nicht gespielt, sondern durchaus echt. Er war völlig am Boden zerstört, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf: Die Hong-Kaufleute fürchten akut um ihr Leben und ihren Besitz. Ich will hier nicht despotischen Maßnahmen das Wort reden, ich möchte Ihnen nur zu bedenken geben, dass es, wenn eine Kette von Ereignissen erst einmal in Gang gesetzt ist, nicht mehr in unserer Macht steht, Genugtuung oder Wiedergutmachung zu leisten. Überlegen Sie doch bitte: Eigentum, das aufgrund der augenblicklichen Umstände verloren geht, lässt sich leicht und schnell neu ansammeln, wohingegen vergossenes Blut so wenig wie verschüttetes Wasser wieder aufgelesen werden kann. Im Moment ist das Leben unserer Mitgeschöpfe unmittelbar bedroht. Wir mögen ja hin und wieder auf die Hong-Händler geschimpft haben, aber sie sind immer noch unsere Freunde und Nachbarn. Welcher vernünftige Mensch würde denn dem Geldbeutel eines Investors zuliebe das Leben seines Nächsten aufs Spiel setzen?«
    Mr. King hatte mir großer Leidenschaft gesprochen, aber die Wirkung seiner Worte war weitgehend verpufft, weil Dent die ganze Zeit in die Runde geblickt hatte, als wollte er die Häupter zählen und abschätzen, wer auf seiner Seite stand. Als Mr. King geendet hatte, sagte er nüchtern: »Es besteht hier offensichtlich ein grundlegender Dissens: Mr. King ist der Meinung, dass Howqua und seinesgleichen um ihr Leben bangen, ich dagegen bin nicht weniger überzeugt, dass wir es hier nur wieder mit einem Fall von himmlischer Schikane zu tun haben. Meiner Ansicht nach spielen unsere Freunde von der Cohong mit den Gefühlen jener, die kraft ihrer Natur und Neigung nicht über das normale Maß an männlicher Standhaftigkeit verfügen.«
    »Was hat denn Männlichkeit damit zu tun?«, fragte Mr. King.
    »Alles hat sie damit zu tun«, antwortete Mr. Burnham. »Es ist Ihnen doch sicher nicht entgangen, dass

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