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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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wenn es bedeutete, dass ihm der Himmel für immer verschlossen blieb.
    Aus alter Gewohnheit war seine Rechte in seinen angarkha geglitten, um die beruhigende Berührung seines kusti zu suchen. Er holte tief Luft und räusperte sich. Dann hob er den Kopf und blickte Mr. King gerade in die Augen.
    »Ich stimme«, sagte Bahram, »für Mr. Dents Vorschlag.«

Sechzehntes Kapitel
    R heumaanfälle hatten Fitcher die letzten Tage ans Bett gefesselt, und so fiel es Paulette zu, die Pflanzen zusammenzustellen, die mit Baburao nach Kanton geschickt werden sollten.
    Es blieb nicht viel Zeit, und nachdem sie sich kurz beraten hatten, wählten sie sechs Pflanzen aus: eine junge Douglastanne, eine Rote Johannisbeere und zwei Pflanzen von der Nordwestküste Amerikas – eine knapp einen Meter hohe Mahonie voller gelber Blüten und eine Gaultheria shallon mit glänzenden Blättern und Trauben zarter glöckchenförmiger Kelchblätter – , dazu eine Orangenblume mit hübschen weißen Blüten und einen von Fitchers besonderen Schätzen, eine schöne Fuchsie, Fuchsia fulgens , beide vor Kurzem aus Mexiko eingeführt.
    Jede dieser Pflanzen war Paulette ans Herz gewachsen, besonders die Mahonie. Es schmerzte Paulette, mit anzusehen, wie sie für den Transport zu Baburaos Dschunke in das Beiboot der Redruth verladen wurden. Wie eine Mutter im Moment des Abschieds bezweifelte sie, dass man sich angemessen um ihre Kinder kümmern würde.
    »Sir, nach Kanton kann ich ja nun nicht«, sagte sie zu Fitcher, »aber könnte ich nicht wenigstens ein Stück mit den Pflanzen mitfahren?«
    Fitcher kraulte sich den Bart und murmelte: »Bis Lintin könnten Sie schon mit, wenn Sie mir dort nicht irgendwelche Fisimatenten machen.«
    »Wirklich, Sir?«
    »Ja. Die Dschunke kann das Beiboot in Schlepp nehmen, und die Männer bringen Sie dann wieder zurück.«
    »Oh, vielen Dank, Sir. Danke!«
    Sie lief an Deck und bedeutete den Leuten im Beiboot, auf sie zu warten.
    Die Dschunke lag ganz in der Nähe. Als das Boot längsseits kam, ließ Baburao ein Holzbrett für die Pflanzen herab. Paulette hielt den Atem an, während die Töpfe hochgezogen wurden, und war heilfroh, als die Operation ohne Zwischenfälle über die Bühne gegangen war. Dann warf man ihr eine Strickleiter herab, und sie kletterte an Deck.
    Sie befand sich zum ersten Mal auf Baburaos Dschunke, und ihre erste Reaktion war Enttäuschung. Die Redruth hatte so lange vor Hongkong gelegen, dass Paulette einige der Schiffe, die die Gewässer dort befuhren, zu unterscheiden gelernt hatte: raupenähnliche Fahrgastboote, lang und schmal, die Sitze in Reihen angeordnet, hoch mit Särgen beladene »Bestattungsboote«, zweimastige »Entenschwanz-Dschunken« mit Aufbauten und – vielleicht die auffälligsten – über dreißig Meter lange walähnliche »Stangen-Dschunken«, deren Bug aussah, als siebten sie Nahrung aus dem Wasser.
    Wo es von solchen Wasserfahrzeugen nur so wimmelte, fiel Baburaos Dschunke natürlich nicht weiter auf. Sie war ein sha-ch’uan, ein »Sandschiff«, das sein Großvater irgendwo im Norden günstig erworben hatte. Der Name des Bootes war so lang, dass Paulette ihn nicht behalten konnte, aber das war auch nicht nötig, denn in ihrer Gegenwart nannte Baburao seine Dschunke immer nur Kismat , ein Wort, das, wie er sagte, die genaue Entsprechung der am Bug aufgemalten chinesischen Schriftzeichen sei.
    Wie bei allen Schiffen auf dem Perlfluss prangte auch hier links und rechts am Bug ein riesiges Auge, das nach Beute und Räubern Ausschau zu halten schien. Die Kismat war kleiner als die Ibis und die Redruth , nur etwa achtzehn Meter lang, aber sie hatte mehr Masten als diese beiden, nicht weniger als fünf. Sie waren so seltsam angeordnet, wie sie aussahen: hierhin und dorthin geneigt wie Kerzen auf einem windgepeitschten Kerzenständer. Nur zwei von ihnen waren im Deck verankert, doch auch sie waren in seltsamen Winkeln geneigt, der eine nach vorn, der andere nach hinten. Die drei kleineren sahen eher wie Stangen aus und waren nicht auf dem Deck, sondern scheinbar wahllos irgendwo an der Reling angebracht. Auch das Ruder war – zumindest in Paulettes Augen – eigenartig platziert, nicht in der Mitte des Hecks, sondern seitlich am Rumpf, und es wurde nicht mit einem Rad bewegt, sondern mit einer riesigen Pinne, die über das Dach des Deckshauses hinausragte.
    Kurzum: Mit ihrem hochgezogenen Heck, ihren unterschiedlichen Masten und dem fassförmigen Rumpf bot die Kismat einen

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