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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Verweichlichung der Fluch des Asiaten ist? Sie macht ihn anfällig für das Opium, sie macht ihn auf fatale Weise abhängig von Leitung und Führung. Wäre die Oberschicht dieses Landes nicht durch ihre Vorliebe für Malerei und Dichtkunst geschwächt, befände sich China heute nicht in diesem erbärmlichen Zustand. Solange die männlichen Energien dieses Volkes nicht erneuert werden, wird es den Wert der Freiheit nie begreifen, noch wird es jemals die grundlegende Bedeutung des Freihandels ermessen können.«
    »Glauben Sie wirklich«, gab Mr. King scharf zurück, »Männlichkeit ist erst aus der Doktrin des Freihandels erwachsen? Wenn dem so wäre, dann wären Männer so selten wie Paradiesvögel.«
    Erneut schaltete sich Mr. Wetmore ein. »Meine Herren, ich bitte Sie! Bleiben wir doch bei der Sache, um die es hier geht.«
    »Einverstanden«, sagte Dent. »Lassen Sie uns die Angelegenheit nicht sinnlos in die Länge ziehen und keine weitere Zeit verlieren. Mr. Wetmore hat uns über den Inhalt des Briefes informiert, den er aufgesetzt hat. Ich möchte eine Alternative anbieten: Ich schlage vor, dass wir der Cohong ein allgemein gehaltenes Schreiben zukommen lassen. Wir versichern darin, dass auch wir von der Notwendigkeit überzeugt sind, dem Opiumhandel auf lange Sicht Einhalt zu gebieten, und wir kündigen an, dass wir, um zu eruieren, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei, ein Komitee gründen werden. Damit ist allen weidlich gedient: Der Hochkommissar kann unter diesem Vorwand seine Zwangsmaßnahmen aufheben, und wir haben keine Zugeständnisse gemacht.« Dent unterbrach sich, sah sich am Tisch um und wandte sich dann Mr. Wetmore zu. »Nun also, Herr Präsident: Ihre Resolution gegen meine. Stimmen wir ab.«
    Auch Mr. King schaute sich um, und als er sah, dass Mr. Dents Worte mit vielem Nicken und zustimmendem Gemurmel quittiert wurden, umfasste er die Tischkante und erhob sich.
    »Moment«, sagte er. »Ich bitte Sie, mir noch ein paar Minuten für einen letzten Appell zu gewähren. Wir haben es hier mit einer Angelegenheit zu tun, die nicht einfach per Handzeichen entschieden werden kann – nicht nur, weil wir im Begriff stehen, einen Schritt zu tun, dessen Konsequenzen weit über diesen Raum und diesen Tag hinausreichen werden, sondern auch weil ein Mann unter uns weilt, der als einziger Vertreter einer überaus zahlreichen Bevölkerung hier sitzt; tatsächlich ist er der Einzige hier, der für die Gebiete, in denen die fragliche Ware hergestellt wird, sprechen kann.«
    Mr. King wandte sich Bahram zu. »Ich meine natürlich Sie, Mr. Moddie. Sie tragen von uns allen die größte Verantwortung, denn Sie müssen nicht nur vor Ihrer Heimat, sondern auch vor deren Nachbarn Rechenschaft ablegen. Wir anderen kommen aus weit entfernten Ländern, unsere Nachfolger werden nicht auf die gleiche Weise mit der heutigen Entscheidung leben müssen wie Ihre. Ihre Kinder und Enkelkinder werden für das, was heute geschieht, geradestehen müssen. Ich bitte Sie, Mr. Moddie, erwägen Sie sorgfältig, welche Verpflichtung in diesem kritischen Moment auf Sie zukommt: Ihr Wort und Ihre Stimme haben großes Gewicht in diesem Komitee. Sie selbst haben mir gegenüber von Ihrem Glauben und Ihren Überzeugungen gesprochen. Mehr als einmal haben Sie gesagt, dass keine Religion so deutlich wie die Ihre den immerwährenden Konflikt zwischen Gut und Böse herausstellt. Was nun die anstehende Entscheidung angeht: Ich bitte Sie inständig, blicken Sie in den Abgrund, an dessen Rand Sie stehen. Denken Sie nicht an den jetzigen Moment, sondern an die Ewigkeit, die vor uns liegt.« Er hielt inne und senkte die Stimme: »Wofür entscheiden Sie sich, Mr. Moddie? Entscheiden Sie sich für Licht oder Dunkelheit, für Ahura Mazda oder Ahriman?«
    Diese letzten Worte trafen Bahram wie ein Blitzschlag. Seine Hände begannen zu zittern, und er schob sie schnell in die Ärmel seines choga. Es war unfair, wirklich unfair, dass Charlie King ihm einen solchen Streich spielte – nicht nur von Kontinenten und Ländern zu sprechen, sondern auch von seinem Glauben. Was kümmerten ihn, Bahram, Kontinente und Länder? Er musste schließlich in erster Linie an die denken, die ihm am nächsten standen. Und was konnte Gutes für sie dabei herauskommen, wenn er sich ins Verderben stürzte? Für seine Kinder – seine Töchter und Freddy – würde er mit Freuden sein Seelenheil opfern: Tatsächlich erschien ihm keine Verpflichtung dringlicher als diese, auch

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