Der rauchblaue Fluss (German Edition)
reichlich plumpen Anblick. Doch das täuschte: Waren die Matten an den Masten gehisst, segelte sie so geschmeidig dahin wie jedes andere Boot ihrer Größe.
Die Fahrt begann mit einer Zeremonie, die Paulette stark an die pujas erinnerte, die sie in Kalkutta gesehen hatte. Den Göttern T’ein-hou und Kuan-yin (beides wohlwollende Gottheiten, so Baburao, wie Lakshmi und Saraswati in Indien) wurde Räucherwerk geopfert, ein Ritual, das dann plötzlich und buchstäblich zu einem Spektakel mit Feuerwerk, Gongschlägen und unzähligen brennenden, rot-goldenen Papierstreifen explodierte (um Dämonen abzuschrecken, wie Baburao erklärte). All das, zusammen mit dem Geschnatter aufgescheuchter Enten, dem Geschrei von Babys und dem Gegrunze von Schweinen, schuf eine Atmosphäre, in der es Paulette nicht gewundert hätte, wenn die Dschunke selbst wie eine Rakete davongeflogen wäre. Doch auf dem Höhepunkt des Lärms gingen die Mattensegel hoch, und die Kismat setzte sich in Bewegung und hinterließ eine lange Rauchfahne.
Das Wasser an der Mündung des Perlflusses war von Gegenströmungen aufgewühlt und wimmelte nur so von Booten, sodass dieDschunkevorsichtig manövrieren musste. Paulette beobachtete die Besatzung bei der Arbeit und stellte fest, dass sich die Kismat nicht nur äußerlich von der Ibis und der Redruth unterschied, sondern vor allem auch, was ihre Crew betraf. Paulette hatte gedacht, der Laodah einer Dschunke sei so etwas wie der Nakhoda eines indischen Bootes, ein Mann, der – meistens jedenfalls – Kapitän, Supercargo und Schiffseigner in einer Person war. Baburao aber führte sein Boot ganz anders als die Nakhodas und Seekapitäne, die Paulette auf dem Hugli und im Golf von Bengalen gesehen hatte. Man konnte auch nicht sagen, die Kismat sei »bemannt«, denn ihrer Crew gehörten auch mehrere Frauen an, deren Aufgaben sich nicht von denen der Männer unterschieden. Und ob männlich oder weiblich – keines der Besatzungsmitglieder hätte sich barsche Befehle und ein herrisches Auftreten gefallen lassen: Baburao sprach mit ihnen in einem Ton guten Zuredens, als wollte er sie davon überzeugen, wie klug es sei, zu tun, was er verlangte. Noch seltsamer war, dass er die meiste Zeit gar nichts sagte; jeder schien auch so zu wissen, was zu tun war, und wenn Baburao einmal eingriff, zögerten die anderen nicht, seine Befehle zu hinterfragen. Brach ein Streit aus, wurde er meist nicht durch autoritäres Einschreiten beigelegt, sondern durch Vermittlung einer der Frauen.
Mehrere Stunden lang bahnte sich die Dschunke langsam und vorsichtig ihren Weg zwischen Flotten von Fischerbooten, schartigen Riffs und wellengepeitschten kleinen Inseln hindurch. Dann drehte sich ihr Bug zu einem hoch aufragenden, von wilder Brandung gesäumten Kliff.
Das, sagte Baburao, sei die Insel Lintin.
Die Dschunke segelte langsam um das Kliff herum in eine Bucht an der Ostseite der Insel, wo zwei ungewöhnlich aussehende Schiffe vor Anker lagen. Ihr Rumpf glich denen westlicher Segelschiffe, die Masten aber waren abgesägt und die Takelung entfernt worden, sodass sie wie längs halbierte Fässer aussahen.
Dies seien die letzten »Hulke« von Lintin, erklärte Baburao, eine britische und eine amerikanische. Sie lägen seit vielen Jahren hier und seien früher ausschließlich für die Lagerung und den Vertrieb von Opium benutzt worden. Ausländische Opiumfrachter hätten hier ihre Ladung gelöscht, bevor sie die Zollstationen an der Mündung des Perlflusses passierten. Noch vor wenigen Jahren, so Baburao, habe in dieser Bucht Hochbetrieb geherrscht, ausländische Schiffe hätten »Malwa« und »Bengal« ausgeladen, und eine Flottille von Schnellruderern habe schon darauf gewartet, die Ware rasch aufs Festland bringen zu können.
Trotz der gespenstisch wirkenden, unförmigen Hulke bot die Bucht mit den Wolken, die über die steil aufragenden Höhen der Insel jagten, einen wilden und schönen Anblick. Baburao manövrierte die Dschunke geduldig an eine sorgfältig ausgewählte Stelle in der Mitte der Bucht und warf den Anker aus.
Es folgte ein weiteres Ritual mit Räucherwerk, Opfergaben und brennendem Papier.
»Ist das wieder eine puja?«, fragte Paulette, doch diesmal zögerte Baburao mit der Antwort. Sie bereute ihre Frage schon, da sagte er: »Ja, es ist eine puja, aber nicht so eine wie die letzte. Das hier ist etwas anderes.«
»Ja? Inwiefern?«
»Sie ist für meinen Dada-bhai, meinen älteren Bruder … «
Es sei schon viele
Weitere Kostenlose Bücher