Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
Fraktion zum Sieg verholfen habe, und Sethji erhebe sein Glas auf Mr. Dent und gratuliere ihm zu seiner Vorreiterrolle.
    Vico war der Einzige, der Vorbehalte äußerte: »Noch weiß man nicht, wie die Sache ausgeht«, murmelte er düster. »Mr. Dent hat Mr. King zwar ausmanövriert, aber der Yum-chae wird sich nicht so leicht hinters Licht führen lassen. Das ist Patrão auch klar. Er bringt zwar Trinksprüche aus, aber ich weiß, dass er sich Sorgen macht.«
    Gegen Ende des Abends berichteten die Khidmatgars, dass der Seth tatsächlich ein wenig angespannt wirke. Das bestätigte sich, als Dent und seine Kumpane zum Abendessen in den Klub gingen: Sie bedrängten ihn mitzukommen, doch er zog es vor, zu Hause zu bleiben, und legte sich sogleich schlafen.
    In der Küche unten war noch eine Menge von dem Champagner und auch vom Essen übrig, und da man den Seth wohlbehalten im Bett wusste, musste man nicht darauf achten, keinen Lärm zu machen. Gläser und Tabletts wurden geleert, und dann machte sich Vico daran, den anderen die Grundlagen des Gesellschaftstanzes beizubringen. »Kommen Sie, Munshi, ich zeige Ihnen ein paar Schritte. Wir fangen mit dem Walzer an.«
    Mesto schlug auf einem riesigen Messinggefäß den Takt, und die anderen klatschten dazu in die Hände. Nils Proteste wurden übertönt, und bald polterte er mit Vico durch die Küche und versuchte, nicht aus dem Takt zu kommen.
    Die anderen bogen sich bei dem Anblick vor Lachen. Ein Krug mit Grog ging herum und wurde schnell geleert, und dann schlossen sich bis auf Mesto auch die anderen an: Khidmatgars, Chowkidars, Küchen-Chokras und selbst die würdevollen Shroffs wirbelten durch die Küche wie Kinder bei einem mela. Auf ein Wort von Vico wechselte der Rhythmus der Musik. Der neue Tanz nenne sich Quadrille, verkündete der Zahlmeister, und unter seiner Anleitung stellten sich alle in zwei Reihen auf. Sie hakten sich unter und stürmten dann mit solchem Schwung aufeinander zu, dass viele stürzten. Lachend lagen sie am Boden und staunten darüber, dass etwas so Albernes ein Tanz sein sollte.
    Als das Gelächter verebbte, hörte man an der Haustür ein lautes Klopfen. Vico rappelte sich vom Boden auf und ging nachsehen. Als er zurückkam, war jede Spur der Heiterkeit aus seinem Gesicht gewichen.
    »Das war ein Bote von der Kammer«, sagte er. »Eine außerordentliche Sitzung ist einberufen worden, der Seth muss sofort hin.«
    Unterdessen hatte auch die Glocke der Kapelle angefangen zu läuten. Es war elf Uhr abends.
    »Eine Sitzung?«, fragte Nil. »Um diese Zeit?«
    »Ja«, antwortete Vico. »Ein Notfall – die Cohong-Kaufleute sind eben von einer Besprechung mit Kommissar Lin zurückgekommen. Sie haben die Ausländer um ein Treffen gebeten, weil sie ihnen etwas sehr Wichtiges zu sagen haben.«
    Vico war schon auf dem Weg zur Treppe, drehte sich aber noch einmal um. »Wer hat heute Abend Dienst beim Seth? Er soll sofort kommen.«
    Der Mann war mehr als nur leicht beschwipst, und man musste ihm Wasser ins Gesicht spritzen, bevor man ihn hinaufschicken konnte. Eine halbe Stunde später kam der Seth in einem dunklen choga nach unten geeilt. Sein Turban war sorgfältig gebunden, seine Kleidung untadelig.
    Ein Laternenträger war um diese Zeit nicht mehr zu bekommen, deshalb begleitete Vico selbst den Seth mit einer Fackel in der Hand zur Kammer.
    In der Küche begann nun eine lange Nachtwache; erst gegen zwei kamen der Seth und Vico in den Hong zurück. Sie gingen sofort ins Schlafzimmer des Seths hinauf, und erst anderthalb Stunden später erschien Vico wieder.
    Inzwischen war nur noch Nil auf, der noch an der Chrestomathie gearbeitet hatte. Vico holte eine Flasche Maotai-Schnaps und goss zwei Gläser randvoll ein.
    »Und was war in der Sitzung?«
    Vico trank sein Glas aus und schenkte sich nach. »Es sieht ganz so aus, als hätten Patrão und seine Freunde zu früh gefeiert, Munshi.«
    »Wieso?«
    »Sie machen sich keinen Begriff, was da los war … «
    Als sie in der Handelskammer anlangten, war der große Saal hell erleuchtet, und es herrschte ein Gewühl wie in einem Theater – zum Glück, denn so konnte sich Vico hinten in den Saal stellen und alles beobachten.
    Zwölf Mitglieder der Cohong waren anwesend: Howqua, Mowqua und Punhyqua natürlich, aber auch mehrere jüngere Kaufleute, darunter Yetuck, Fontai und Kinqua. Sie saßen in einer Reihe nebeneinander, und alle hatten ihre Diener und Dolmetscher mitgebracht. Dutzende von Laternen schaukelten über

Weitere Kostenlose Bücher