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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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ihren Köpfen auf und ab und warfen einen tanzenden Lichtschein an die Wände. Die Ausländer nahmen die schwächer beleuchtete Seite des Raumes ein, teils sitzend, teils stehend, und ihre Gesichter schimmerten weiß in dem Halbdunkel, das von den flackernden Wandlaternen kaum erhellt wurde. Im Niemandsland zwischen den beiden Gruppen standen die Übersetzer: eine Phalanx von Dolmetschern auf der einen Seite, der hochgewachsene, jugendliche Mr. Fearon auf der anderen.
    Die Sitzung begann damit, dass die Hong-Kaufleute erklärten, sie seien gekommen, um den Fremden von der Reaktion des Yum-chae auf das Schreiben der Kammer zu berichten. Da es um Leben und Tod gehe, hätten sie sich entschlossen, sich über Dolmetscher zu verständigen, statt Pidgin zu sprechen. Das Ergebnis war, dass jedes Wort durch viele Münder gefiltert wurde.
    »Wir haben dem Hochkommissar Ihr Schreiben überbracht, und er hat es zur Prüfung an seinen Stellvertreter weitergereicht. Nachdem es vorgelesen worden war, sagte Seine Exzellenz: ›Die Fremden treiben ihr Spiel mit der Cohong-Gilde. Mit mir sollten sie das nicht versuchen.‹ Dann erklärte er: ›Wenn bis morgen kein Opium abgeliefert wird, bin ich um zehn Uhr in der Consoo Hall, und dann werde ich deutlich machen, was ich zu tun gedenke.‹«
    »Und was heißt das?«
    »Es heißt, Munshi, dass er Mr. Dents Spielchen sofort durchschaut hat. Er hat den Hong-Händlern gesagt, wenn bis morgen kein Opium übergeben worden ist, macht er seine Drohung wahr.«
    »Mit den Hinrichtungen?«
    »So haben es die Hong-Kaufleute berichtet. Und ehrlich gesagt, Munshi, selbst von ganz hinten im Saal konnte ich sehen, dass es ihnen ernst war. Ihre Hände zitterten, ihre Diener weinten, und manche fielen sogar in Ohnmacht und mussten hinausgetragen werden. Aber die Kammer war immer noch nicht überzeugt. Unter Führung von Mr. Dent und Mr. Burnham debattierten sie weiter, hinterfragten jedes Detail, wollten wissen, warum die Cohong-Händler so sicher seien, dass man sie wirklich enthaupten würde – als ob irgendjemand, der halbwegs bei Verstand ist, in einem solchen Fall lügen würde. Alle Cohong-Mitglieder sagten, ja, wenn bis morgen um zehn kein Opium ausgeliefert sei, würden zwei von ihnen ihren Kopf verlieren. Aber die Kammer stellte immer noch mehr Fragen, und so ging es hin und her, bis jemand einen Vorschlag machte: Statt sich von dem gesamten Opium zu trennen, könnte man doch tausend Kisten übergeben; vielleicht würde sich der Yum-chae damit begnügen.«
    »Und alle waren damit einverstanden?«
    »Am Ende schon, aber sie – die Ausländer – feilschten und feilschten, als würden sie auf dem Basar Fisch kaufen. Sie wollten die Cohong-Leute sogar dazu bewegen, ihnen die abgelieferten Kisten zu bezahlen. ›Wieso sollten wir zahlen?‹, fragten sie. ›Das ist der Preis für Ihre Köpfe, also müssen Sie die Kosten tragen.‹«
    »Das haben sie wirklich gesagt?«
    »Mehr oder weniger.«
    Vico schüttelte nachdenklich den Kopf. »Sehen Sie, Munshi, im Geschäftsleben muss man an den Profit denken, das ist klar. Manchmal muss man ein bisschen hera-pheri machen, ein Geschäft unter der Hand, das gehört einfach dazu. Mal macht man Gewinn, mal verliert man ein bisschen, auch das ist für die meisten von uns normal. Aber diese Burnhams und Dents und Lindsays, die sehen das anders. Die haben hier mehr Geld verdient, als man überhaupt zählen kann, und alles mithilfe von Howqua, Mowqua und den anderen von der Cohong. Und jetzt, da es um Leben und Tod der Chinesen geht, feilschen sie immer noch mit einer Hitzigkeit, die jedem Fischweib die Schamröte ins Gesicht treiben würde. Da fragt man sich: Wenn ihnen schon das Leben ihrer Freunde so wenig wert ist, was wären dann Sie oder ich ihnen wert?«
    »Aber Moment«, sagte Nil, »was ist mit Mr. King? Er hat da doch sicher nicht mitgemacht?«
    »Nein. Er sprach davon, dass die Kammer in der Schuld der Cohong steht, und auch von alter Freundschaft und so weiter, aber solche Argumente zogen bei den anderen nicht. Umgestimmt hat sie schließlich ein englischer Übersetzer. Die Atmosphäre in der Stadt sei explosiv, hat er gesagt, und es könnten Unruhen ausbrechen, wenn einer der Cohong-Kaufleute zu Schaden käme. Das hat ihnen dann doch ein bisschen Angst eingejagt, und sie haben beschlossen, dem Kommissar die tausend Kisten anzubieten, als eine Art Lösegeld.«
    »Ob er das akzeptiert?«
    Vico zuckte die Schultern. »Morgen früh werden wir’s

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