Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Jahre her, erklärte Baburao, aber noch immer könne er nicht hier entlangfahren, ohne haltzumachen. Der Bruder sei der älteste gewesen, und auch er sei auf der Kismat aufgewachsen und habe das Gleiche gemacht wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Eines Tages aber habe jemand zu ihm gesagt: Du bist doch ein kräftiger Bursche, warum versuchst du’s nicht auf einem Schnellruderer? Da verdienst du gut, mehr als mit Fischen oder Segeln. »Wer hätte ihn aufhalten können? Von Zeit zu Zeit verdingte er sich also auf einem dieser Schnellruderer. Es war Schwerstarbeit, aber nach jeder Fahrt bekam er ein bisschen Opium als cumshaw. Er hätte es natürlich verkaufen und das Geld nehmen können, aber er war noch so jung, und oft rauchte er sein cumshaw selbst. Bald arbeitete er nicht mehr für Geld, sondern nur noch für Opium, und je härter er arbeitete, desto mehr brauchte er. Nach wenigen Jahren war sein Körper ausgemergelt und sein Geist leer. Er konnte nicht mehr rudern und auch sonst nichts mehr tun. Er lag nur noch wie ein Schatten auf dem Vorderdeck der Kismat . Eines Tages, als die Dschunke hier vor Anker lag, fiel er über Bord und wurde nie wieder gesehen.
Ich war der chhota-bhai, der Kleine, der Jüngste von vieren. Nach dem Tod meines Bruders meinte mein Vater, es sei das Beste, wenn ich fortging, und besorgte mir eine Arbeit als Chokra auf einem Schiff, das nach Manila auslief. Wenn ich blieb, das wusste er, würde auch ich dem Opium verfallen, wie meine Brüder.«
»Dann war Ihr älterer Bruder nicht der Einzige?«, fragte Paulette.
»Nein, meine beiden anderen Brüder gingen den gleichen Weg. Sie sahen, wie weit es mit dem Ältesten gekommen war, aber sie konnten nicht widerstehen. Die Geldgier packte sie, und sie begannen ebenfalls auf Schnellruderern zu arbeiten. Den einen fand man in einem kleinen Flusslauf bei Whampoa treibend – enthauptet. Bis heute wissen wir nicht, wer ihn umgebracht hat, und auch nicht, warum, aber es hatte mit Sicherheit etwas mit dem ›schwarzen Dreck‹ zu tun. Der andere Bruder lebte länger, er heiratete und bekam Kinder. Aber er rauchte auch und starb mit Mitte zwanzig. Danach wollte mein Vater die Dschunke verkaufen – das Opium habe den Fluss in einen Giftstrom verwandelt, sagte er. Ich war gerade in Kalkutta, als ich davon erfuhr. Ich bin auf der Kismat aufgewachsen, und der Gedanke, dass sie verkauft werden sollte, war mir unerträglich. Ich liebte die Gewässer hier und fand, es sei jetzt an der Zeit zurückzukehren.«
»Und sind Sie froh, dass Sie’s getan haben?«, fragte Paulette.
»Früher schon, aber jetzt bin ich mir, offen gestanden, nicht mehr sicher. Je mehr ich sehe, desto mehr Sorgen mache ich mir. Ich sorge mich um meine Söhne, meine Enkel. Wie sollen sie hier auf dem Fluss leben, ohne im Rauch zu ersticken?«
Baburao brach ab und tippte Paulette auf die Schulter. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.«
Er führte sie auf den höchsten Teil des Achterdecks und reichte ihr ein Fernrohr.
»Sehen Sie.« Er deutete flussaufwärts. »Das große Fort dort, direkt an der Flussmündung, der Bocca Tigris. Die Laskaren nennen sie ›Sher-ka-muh‹, Tigerrachen, bei den Angrez heißt sie Bogue. Das Fort ist erst vor wenigen Jahren erbaut worden, zur Verteidigung des Flusses, und wenn man es sieht, würde man nie denken, dass jemand in eine solche Festung hineinkommt. Aber nachts könnten Sie oder ich oder sonst jemand einfach hineinspazieren. Die Soldaten sind dann alle im Opiumrausch und ihre Offiziere auch. Es ist eine Seuche, die man nicht mehr loswird.«
Nach wenigen Stunden wusste jedermann in Fanqui-Town, dass sich die Dent-Fraktion bei der Sitzung durchgesetzt hatte. Im Achha Hong erfuhr man die Einzelheiten von Vico. Jetzt werde bestimmt gefeiert, meinte er, und tatsächlich hieß es bald, einige Freunde des Seths würden später vorbeikommen.
Das versetzte die Küche in gelinde Panik, doch als die ersten Gäste eintrafen, hatte Mesto alles unter Kontrolle: Champagnerflaschen waren gekühlt, und mehrere Stapel Kroketten, pakoras und samosas warteten darauf, serviert zu werden.
Mr. Dent und Mr. Burnham wurden als Erste in den daftar hinaufgeführt, und wenig später kam Mr. Slade in Begleitung mehrerer Kollegen. Die Feier nahm ihren Lauf, und die Khidmatgars, die die Gäste bedienten, hielten das übrige Personal über alles, was oben vor sich ging, auf dem Laufenden: Mr. Burnham spreche ein Dankgebet für die göttliche Fügung, die seiner
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