Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Dent.«
»Und an wen denken Sie da?«
»Nur ein Mann kann sein, ne? Führer von Kanton Achhas.«
Nil stellte verwundert fest, dass sein Mund trocken geworden war. Erst nachdem er von seinem Tee getrunken hatte, konnte er fragen: »Seth Bahramji?«
Compton nickte. »Deui-me-jyuh, Nil, aber er ist verantwortlich für schlechte Dinge; viel Information kommt heraus. Und er ist verbündet mit Dent.«
Nil sah in seine Tasse und versuchte sich vorzustellen, dass Seth Bahram wie damals Punhyqua mit einem Holzkragen um den Hals ins Gefängnis abgeführt wurde. Er musste daran denken, wie die Ergebenheit, die Bahrams Umgebung dem Seth entgegenbrachte, ihn anfangs amüsiert hatte. Jetzt stellte er überrascht fest, dass auch er selbst eine Loyalität entwickelt hatte, die an Liebe grenzte. Fast war es, als hätte er sich die Blutsbande zwischen Ah Fatt und seinem Vater zu eigen gemacht, sodass es ihm unmöglich wurde, über den Seth zu Gericht zu sitzen. Da wusste er: Sollte er einmal in irgendeiner Weise dazu beitragen, dass Bahram zu Schaden kam, würde ihn das sein Leben lang verfolgen.
»Es liegt nahe«, sagte er, »dass Sie an einen solchen Schritt denken. Aber eines müssen Sie wissen: Wenn Seth Bahramji und alle anderen Achha-Kaufleute aufhören würden, mit Opium zu handeln, würde das nichts ändern. Das Rauschgift kommt zwar aus Indien, aber der Handel liegt fast ausschließlich in britischer Hand. In der Präsidentschaft Bengalen haben die Briten das Monopol auf den Opiumanbau. Nur wenige Achhas sind daran beteiligt, wenn man von den Bauern absieht, die den Mohn anbauen müssen – und die leiden genauso wie die Chinesen, die das Rauschgift kaufen. In Bombay konnten die Briten kein Monopol errichten, weil sie nicht die gesamte Region beherrschen. Deswegen konnten lokale Kaufleute wie Seth Bahramji in den Handel einsteigen. Ihre Gewinne sind das Einzige in diesem gewaltigen Geschäft, was nach Hindustan zurückfließt, alles andere geht nach England, in das übrige Europa und nach Amerika. Würden Bahramji und die anderen Seths aus Bombay den Opiumhandel morgen einstellen, hätte das nur zur Folge, dass er zu einem weiteren britischen Monopol wird. Die Achhas haben nicht damit angefangen, Opium nach China einzuführen, das waren die Briten. Auch wenn kein Achha mehr etwas mit dem Opium zu tun haben wollte, würde sich in China nichts ändern. Briten und Amerikaner würden schon dafür sorgen, dass weiter Opium ins Land strömt.«
Nil wartete, bis Compton übersetzt hatte, dann brachte er das Argument vor, das er sich bis zum Schluss aufgehoben hatte. »Und wissen Sie, was passieren wird, wenn Sie Seth Bahramjis Namen mit dem von Dent verknüpfen?«
»Was?«
»Die Kammer wird Bahram opfern, um Dent zu retten. Dent wird Ihnen entwischen.«
»Haih me! Das sie würde tun?«
»Mit Sicherheit. Schließlich ist sie der Cohong weit mehr schuldig als Bahramji. Wenn sie schon bereit ist, das Leben ihrer Cohong-Freunde aufs Spiel zu setzen, wieso sollten sie dann nicht den Seth opfern?«
Er ließ seine Worte wirken, lehnte sich zurück und trank von seinem Tee. Nach einer Weile sagte Compton: »Chang Lou-si fragt, Sie und Mr. Moddie kommen aus selbe Provinz? Dihng-hai selbe Clan?«
»Nein, seine Provinz und meine liegen weit voneinander entfernt, so weit wie die Mandschurei von Guangdong. Wir haben nicht einmal dieselbe Religion.«
»Cheng-mahn, Nil, ich darf fragen, warum Sie sind so loyal zu ihm? Gam, was ist Unterschied zwischen ihm und Dent und Burnham?«
»Seth Bahram ist nicht wie Dent und Burnham«, sagte Nil. »Unter anderen Umständen wäre er ein Pionier gewesen, ein Genie sogar. Sein Unglück ist, dass er aus einem Land kommt, in dem es auch den Besten unmöglich ist, sich treu zu bleiben.«
»Sie meinen Hindustan, Ah Nil?«
»Ja, Hindustan.«
Ein mitleidiger Blick trat in Chang Lou-sis Augen, als Compton für ihn übersetzte. Er sagte etwas, das mehr an ihn selbst gerichtet schien.
»Chang Lou-si sagt: Damit China nicht wird zweites Hindustan, Yum-chae muss tun, was er muss tun.«
Nil nickte. »Das stimmt. Deswegen sitze ich mit Ihnen hier.«
Die Sitzung der Kammer hatte so spät und mit so unguten Gefühlen geendet, dass Bahram in dieser Nacht ohne eine großzügige Dosis Laudanum keinen Schlaf gefunden hätte. So aber schlief er tief und fest und erwachte erst, als die Uhr der Kapelle elf schlug.
Die Fensterläden waren geschlossen, und bis auf das Altarlicht war es vollkommen dunkel im
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