Der rauchblaue Fluss (German Edition)
wissen. Dann wird die Welt erfahren, ob die Hong-Händler ihren Kopf auf den Schultern behalten oder nicht.«
Vico schenkte sich einen Schuss Maotai ein und hielt Nil die Flasche hin. »Noch einen, Munshi?«
Nil winkte ab. Es war schon spät, und er wollte am nächsten Tag rechtzeitig zur Ankunft des Kommissars am Consoo House sein. Nach einem so langen Tag würde Bahram wohl kaum zur gewohnten Zeit aufstehen, und wenn doch, dann würde er es ihm, Nil, nicht verübeln, dass er ausgegangen war, um Neuigkeiten einzuholen.
Als Nil am nächsten Morgen auf den Maidan hinaustrat, spürte er sofort eine leichte Veränderung der Atmosphäre. Die Rufe der Gassenjungen hatten nichts Scherzhaftes mehr:
… hak gu lahk dahk, laan lan hoi …
… mo-lo-chaa, diu neih louh mei …
… haak-gwai, faan uk-kei laa hai …
Selbst die üblichen cumshaws blieben wirkungslos, und als Nil über den Maidan eilte, heftete sich eine rotznäsige Meute an seine Fersen. Erst an der Old China Street blieben die Jungen zurück, und was sie ihm nachriefen, klang nicht wie sonst übermütig oder neckend, sondern geradezu hasserfüllt. Auch die Blicke der Müßiggänger hatten sich verändert. Nil sah einen Groll in ihren Augen, der ihn an die Randalierer erinnerte, die nach der gescheiterten Hinrichtung auf den Maidan geströmt waren.
Nach einer Weile hörte er einen Ruf: »Ah Nil! Ah Nil!« Es war Ahtore, Comptons ältester Sohn. »Jou-sahn, Ah Nil! Bah-bah sag, komm chop-chop.«
»Warum?«
Ahtore zuckte die Schultern. »Komm, Ah Nil. Komm.«
»Gut.«
Bei Comptons Druckerei angelangt, wurde Nil sogleich ins Innere des Hauses geführt. Noch mehr als beim letzten Mal wirkte der Hof auf ihn wie eine Oase heiterer Ruhe. Der Kirschbaum in der Mitte war seit seinem letztem Besuch erblüht, und es sah aus, als wäre eine Fontäne weißer Blütenblätter aus einem Spalt in dem gepflasterten Boden hervorgebrochen.
Compton saß mit dem weißbärtigen Gelehrten, den er Nil am Tag der Ankunft des Kommissars gezeigt hatte, nahe dem Baum im Schatten eines Vordachs an einem Steintisch beim Tee.
»Jou-sahn, Ah Nil«, sagte Compton.
»Jou-sahn, Compton.«
»Sie kommen, lernen kennen mein Lehrer, Chang Lou-si.«
Beide Männer standen auf, verneigten sich voreinander, und Nil erwiderte die Höflichkeiten, so gut er konnte.
Compton geleitete Nil zu einem Stuhl, und sie erkundigten sich ausgiebig nach der Gesundheit des anderen. Dann sagte Compton: »So-yih, Ah Nil, vielleicht Sie wissen, was war bei Sitzung gestern Abend.«
Nil nickte. »Ja, sie haben angeboten, dem Yum-chae tausend Kisten Opium zu übergeben.«
»Jeng – stimmt. Heute Morgen Cohong sind gegangen zu Yum-chae, sagen von Angebot.«
»Und? Gibt sich Seine Exzellenz damit zufrieden?«
»Nein. Yum-chae weiß genau, was bedeutet. Jik-haih, Fremde wollen feilschen. Denken, können bestechen, wie andere Mandarin vorher. Aber Yum-chae sofort lehnt ab Angebot.«
»Und was passiert jetzt?«, fragte Nil. »Müssen Howqua und Mowqua mit ihrer Hinrichtung rechnen?«
»Nein«, sagte Compton. »Seine Exzellenz weiß, Cohong sind gegangen, so weit können. Auch weiß, dass manche Fremde nicht gegen Opium abgeben. Nur einige machen Probleme. Jetzt Zeit ist gekommen für gegen sie vorgehen – gegen schlimmste Verbrecher, Männer, die machen meiste Probleme.«
»Wen meinen Sie?«
»Was Sie denken, Ah Nil?«
»Dent? Burnham?«
Compton nickte. »Jardine ist weg, jetzt Dent ist schlimmste. Viele Jahre wir haben gesehen, was er macht: Schmuggel, Bestechung – ist schwarze Hand hinter alles.«
»Und was passiert mit ihm?«
Compton streifte Chang Lou-si mit einem Blick und wandte sich dann wieder Nil zu. »Das alles ji-haih für Sie, Ah Nil. Sie verstehen? Dürfen niemand sagen.«
»Ja, natürlich.«
»Dent muss antworten Fragen. Wird verhaftet.«
»Und Burnham?«
»Nein. Er nicht. Ein Brite genug für jetzt.« Er schwieg einen Moment. »Aber andere Mann auch wird verhaftet.«
Nil trank von seinem Tee. Es war ein starker Pu-Erh, der ihm den Mund zusammenzog. »Wer?«
Compton wechselte ein paar Worte mit Chang Lou-si und wandte sich dann wieder Nil zu. »Sie hören, Ah Nil: Wieder ich sage nur zu Ihnen la. Hier viele Leute sagen, ein Mann aus Hindustan auch muss werden verhaftet. Opium kommt fast alles von dort, ne? Ohne Männer aus Hindustan Opium nicht kann kommen. Sie auch müssen werden gestoppt. Beste Weg ist, ein Hindustani wird gestoppt, dann andere sind gewarnt. Wie mit
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