Der rauchblaue Fluss (German Edition)
war zwar in den letzten Tagen nicht draußen gewesen, hatte aber von seinem Fenster aus beobachtet, was auf dem Maidan vor sich ging, und wusste in etwa, was ihn erwartete. Doch als er hinaustrat, merkte er, dass sich die Atmosphäre noch stärker verändert hatte, als er gedacht hatte. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass einmal ein Tag kommen würde, an dem in Fanqui-Town weder Straßenhändler noch Schlepper zu sehen sein würden. Wie die meisten Ausländer hatte er sie immer als Belästigung empfunden und oft zum Teufel gewünscht; dass die Enklave ohne sie so viel von ihrer Lebendigkeit einbüßte, überraschte ihn.
Den Maidan zu überqueren, wenn es dort von Bettlern und Herumtreibern wimmelte, war zwar nicht einfach gewesen, jetzt aber, unter den missbilligenden Blicken der Wachtposten, war es wesentlich unangenehmer, und dass Bahram viele der Wachen kannte, die jetzt mit Stöcken und Spießen bewaffnet in der Enklave patrouillierten, machte die Sache noch schlimmer. Einer zum Beispiel war Kellner im Klub gewesen, und es war seltsam irritierend, von einem Mann, der einem noch vor Kurzem einen Entenbraten serviert hatte, angestarrt zu werden wie ein entsprungener Häftling. Das war in gewisser Weise das Verstörendste an der Situation: Es war, als seien die verborgenen Mechanismen von Kantons Wirtschaft plötzlich für jedermann sichtbar. Selbst die kleinsten Diener und Ladenbesitzer, die sich früher den Fanquis gegenüber vor Diensteifer schier überschlagen hatten, betrachteten die Fremden nun mit kritischem, abschätzendem Blick.
Nirgendwo war der Sicherheitskordon enger als im Umkreis der britischen Faktorei. Seit sich Dent im Konsulat aufhielt, wurde das ganze Gelände streng bewacht, um ihn an einer Flucht zu hindern. Auch die Cohong-Kaufleute hatten sich hier postiert, als wollten sie ihre einstigen Partner durch Beschämung dazu bringen, ihre Ware auszuliefern. Auf dem Weg zum Eingang musste Bahram an ihren Sesseln vorbei, und sie nickten ihm mit undurchdringlichen Mienen steif zu.
Am Eingang traf er auf eine Abteilung Sepoys. Sie wussten, wer er war, und einer von ihnen führte ihn in die Bibliothek des Konsulats, wo die Sitzung stattfinden sollte. Es war ein großer, eleganter Raum mit hohen Regalen voller ledergebundener Bücher an den Wänden und einem goldgerahmten Spiegel über dem Kaminsims. Als Bahram eintrat, waren bereits alle Mitglieder des Komitees anwesend und mit ihnen viele andere.
Captain Elliott stand vor der Versammlung am Kamin, in voller Marineuniform und mit seinem Degen an der Seite, eine imponierende soldatische Figur. Er kannte Bahram vom Sehen, und sie nickten einander zu, als Bahram im hinteren Teil des Raums Platz nahm.
Die Degenspitze des Captains schlug klappernd gegen die Kamineinfassung, als wollte sie die Versammlung zur Ordnung rufen. Elliott stand steif und aufrecht da. »Meine Herren«, sagte er, »ich habe Sie heute hierhergebeten, um Sie über das Ergebnis meiner Versuche, mit Kommissar Lin zu verhandeln, zu informieren. Vor zwei Tagen habe ich in einem Schreiben an die Provinzbehörden darum gebeten, Ihnen allen Reisegenehmigungen zu erteilen. Ich habe darin auch erklärt, dass ich, sollte meiner Bitte nicht entsprochen werden, daraus zu meinem Bedauern den Schluss ziehen müsste, dass Menschen und Schiffe meines Landes gewaltsam festgehalten werden, und dass ich entsprechend handeln würde. Ferner habe ich angemerkt, dass der Friede zwischen unseren beiden Ländern durch das alarmierende Vorgehen der Behörden in Kanton nunmehr unmittelbar bedroht sei. Zugleich habe ich versichert, dass es mein Wunsch sei, den Frieden zu wahren. Mein Schreiben wurde dem Hochkommissar ordnungsgemäß übermittelt. Seine Antwort liegt mir nun vor.«
Überraschtes Gemurmel erhob sich, denn alle wussten, dass sich die Provinzbehörden lange geweigert hatten, direkt mit dem britischen Bevollmächtigten zu korrespondieren. Mehrere der Anwesenden wollten wissen, ob Kommissar Lin seine Antwort entgegen den bisherigen Gepflogenheiten an Captain Elliott selbst gerichtet habe. Der Captain schüttelte den Kopf und sagte, sie sei ihm durch subalterne Beamte übermittelt worden, in Form eines Schreibens, in dem der Kommissar ausführlich zitiert werde.
»Ich dachte«, sagte Captain Elliott, »Sie sollten aus erster Hand erfahren, was Kommissar Lin zu sagen hat, und habe daher meinen Übersetzer, Mr. Robert Morrison, gebeten, einige Passagen auszuwählen. Er wird sie nun
Weitere Kostenlose Bücher