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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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bedeuten würde.
    Doch nichts von alldem konnte er aussprechen, nicht hier, nicht jetzt. Bahram brachte mit Mühe ein Lächeln zustande. »Ja«, sagte er. »Natürlich. Meine Investoren werden warten.«
    Die anderen nickten und wandten sich ab. Von ihren prüfenden Blicken befreit, versuchte Bahram, still zu sitzen, aber es gelang ihm nicht – seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Er raffte seinen angarkha und verließ geräuschlos die Bibliothek. Mit gesenktem Kopf strebte er blindlings durch die Korridore ins Freie. Er ging an den Cohong-Kaufleuten vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und hatte schon den halben Maidan überquert, als er hinter sich Zadig Beys Stimme hörte. »Bahram-bhai! Bahram-bhai!«
    Er blieb stehen. »Ja, Zadig Bey?«
    »Bahram-bhai«, sagte Zadig atemlos, »stimmt es, dass Captain Elliott die Kaufleute aufgefordert hat, ihr Opium herauszugeben?«
    »Ja.«
    »Und sie waren einverstanden?«
    »Ja.«
    »Was werden Sie jetzt tun, Bahram-bhai?«
    »Was schon, Zadig Bey?« Tränen waren ihm in die Augen getreten, und er wischte sie fort. »Ich werde meine Fracht ausliefern, wie alle anderen auch.«
    Zadig nahm seinen Arm, und sie gingen zum Fluss hinunter.
    »Es ist doch nur Geld, Bahram-bhai. Bald werden Sie Ihre Verluste wieder hereinholen.«
    »Das Geld ist noch das wenigste, Zadig Bey.«
    »Was ist es dann?«
    Bahram konnte nicht sprechen, er musste stehen bleiben und ein Schluchzen unterdrücken.
    »Zadig Bey«, flüsterte er, »ich habe Ahriman meine Seele verkauft … und es war ganz umsonst. Umsonst.«
    »Ah Nil! Ah Nil!«
    Nil überquerte den Maidan, als der junge Tom ihn aus dem Zelt der Dolmetscher heraus anrief: »Ah Nil, habe Nachricht für Sie, von Compton. Er sagt, morgen Sie kommen Old China Street, Mittag. Dort treffen.«
    »An der Straßensperre?«
    »Ja, an Straßensperre.«
    Am nächsten Tag ging Nil zur verabredeten Zeit in die Old China Street. Die Barrikade an ihrem Ende wirkte respekteinflößend, umso mehr, als alle Läden geschlossen waren und die Straße wie ausgestorben dalag. Die Sperre bestand aus angespitzten Bambusstangen, und die ringsum postierten Soldaten waren mit Luntenschlossmusketen und Macheten bewaffnet.
    Unwillkürlich verlangsamte Nil seinen Schritt. Jenseits der Barrikade, in der Thirteen Hong Street, hatte sich eine große Menge Neugieriger angesammelt. Sie standen dicht gedrängt, und Nil hätte Compton nicht entdeckt, hätte Compton ihm nicht zugewinkt und »Hei! Nil! Ah Nil! Hier!« gerufen.
    Compton hatte eine Holztafel bei sich, auf der mehrere Reihen Schriftzeichen aufgemalt waren. Sie wurde dem diensthabenden Offizier vorgewiesen, die Barrikade öffnete sich, und Nil wurde durchgelassen.
    Auf der anderen Seite fragte Nil: »Was bedeutet das, Compton? Wie kommt es, dass ich durch durfte?«
    »Ist wichtig. Gam Sie sehen.«
    Sie betraten die Druckerei, und Compton schloss einen Schrank auf. Er nahm ein Blatt Papier heraus und reichte es Nil. »Hier, Ah Nil, Sie sehen.«
    Es war eine Liste mit achtzehn Namen, neben denen jeweils eine Zahl stand. Jeder der in chinesischen Schriftzeichen abgefassten Einträge war mit englischen Anmerkungen versehen. Nil erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um die Namen der führenden ausländischen Kaufleute Kantons handelte.
    »Was bedeuten die Zahlen, Compton?«
    »Wie viel Opium sie sagen, dass sie haben auf Schiffen. Sie glauben, ist wahr ah?«
    Ganz oben auf der Liste stand Lancelot Dents Name. Seine Bestände waren die weitaus größten, über sechstausend Kisten. An zweiter Stelle kam Bahram; neben seinem Namen stand die Zahl 2670.
    Als Nil zögerte, fragte Compton: »Cheng-mahn, Ah Nil, Sie müssen sein ehrlich. Ist alles Opium, er hat auf Schiff?«
    »Da kann ich nur raten«, antwortete Nil. »Ich kenne die Details nicht. Aber mein Gefühl sagt mir, dass die Zahl stimmt. Unser Zahlmeister hat einmal gesagt, dass der Seth etwas mehr als ein Zehntel seiner Fracht in einem Sturm verloren hat, und ein andermal hat er gesagt, es seien über dreihundert Kisten verloren gegangen. Es müsste also stimmen.«
    Compton nickte. »Ist großer Verlust für ihn – fast eine Million Silbertael, cha-mh-do.«
    Nil verschlug es den Atem. »Im Ernst? So viel?«
    »Hai-bo! Großer Verlust.« Compton tippte auf das Blatt. »Und andere? Wa me ji – noch jemand?«
    Nur ein anderer Name auf der Liste interessierte Nil: B. Burnham. Die Zahl neben seinem Namen war verhältnismäßig niedrig: 1000.
    Nil lächelte, und

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