Der rauchblaue Fluss (German Edition)
geschlossen, und als er sie jetzt öffnete, sah er zu seiner Freude, dass der Übersetzer geendet hatte und an seinen Platz zurückging.
Captain Elliott trat wieder an den Kamin. »Nun, meine Herren«, sagte er auf seine nüchterne, gelassene Art, »Kommissar Lin hat sich geäußert. Es besteht kein Zweifel mehr, dass er jede erdenkliche Möglichkeit ausschöpfen wird, um die Auslieferung des Opiums, das in unseren Schiffen lagert, zu erzwingen. Dass er außerstande wäre, unsere Ladungen mit roher Gewalt zu beschlagnahmen, weiß er genau, denn Ihren Schiffen wäre es ein Leichtes, einen Angriff seiner Seestreitkräfte abzuwehren. Deshalb beabsichtigt er, uns hier als Geiseln zu halten, bis das Opium ausgeliefert ist. Und im Grunde können wir nichts dagegen tun. Flucht ist unmöglich: Wir sind von allen Seiten eingeschlossen, wir stehen unter ständiger Bewachung, und unsere Boote sind auf Strand gesetzt – wir kämen also auch dann nicht weg, wenn wir uns den Weg zum Fluss freikämpfen würden. Ein gescheiterter Versuch würde nur Blutvergießen und Demütigung bedeuten. Auch an Gewaltanwendung ist im Moment nicht zu denken, da wir weder Kriegsschiffe noch Soldaten zur Verfügung haben. Ein angemessenes Expeditionskorps aufzustellen würde mehrere Monate dauern, und selbst wenn wir die nötige Stärke besäßen, käme ein Angriff auf Kanton zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht infrage, weil wir damit unser aller Leben aufs Spiel setzen würden. Somit steht außer Diskussion, dass ein Angriff unmöglich ist, solange wir nicht aus dieser Stadt evakuiert sind, und mein Hauptanliegen ist es nun, dies in einer Weise zu bewerkstelligen, dass die Sicherheit aller Untertanen ihrer Majestät gewährleistet ist. Ich muss wohl kaum hinzufügen, dass man uns im Augenblick nicht gestatten wird, Kanton zu verlassen, solange die Forderungen des Kommissars nicht erfüllt sind.«
Captain Elliott holte tief Luft und strich sich nervös über den Schnurrbart. »Ich fürchte also, meine Herren, daraus folgt zwingend, dass Sie alles derzeit in Ihren Schiffen lagernde Opium werden herausgeben müssen.«
Bestürztes Schweigen trat ein, dann redeten alle durcheinander.
»Das ist Räuberei, Sir, blanke Räuberei! Das können wir nicht hinnehmen!«
»Ist Ihnen klar, Captain Elliott, dass Sie hier von Waren im Wert von vielen Millionen Dollar sprechen?«
»Und sie gehören noch nicht einmal uns. Sie verlangen, dass wir unsere Investoren bestehlen!«
Captain Elliott ließ die Stimmen eine Weile anbranden, dann unterbrach er. »Meine Herren«, sagte er, »es liegt mir fern, die Richtigkeit Ihrer Argumente zu bestreiten – sie steht hier nicht zur Debatte. Die Frage ist lediglich, wie wir unsere Freilassung erreichen. Der Kommissar hat seine Falle gestellt, und wir sind darin gefangen. Es gibt nur eine Möglichkeit, uns aus seinen Klauen zu befreien: Sie müssen das Opium ausliefern, wir haben keine andere Wahl.«
Diese Worte ließen den Lärmpegel noch weiter ansteigen.
»Keine andere Wahl? Als Bürger der mächtigsten Nation der Welt?«
»Sir, Sie sind eine Schande für Ihre Uniform!«
»Sind wir etwa Franzmänner, dass wir bei der kleinsten Schwierigkeit die Hände hochheben und kapitulieren?«
Captain Elliott verzog resigniert das Gesicht und warf Mr. Slade einen Blick zu, der sich daraufhin eilig erhob. Der Lärm hielt an, während er mit seinem Stock in der Hand zum Kamin ging.
Dort angelangt, brüllte er los: »Meine Herren! Meine Herren, wie Sie sehr wohl wissen, ist niemand einiger mit Ihnen als ich. In diesem Fall täten wir jedoch gut daran, uns die Worte ›Fallaces sunt rerum species‹ in Erinnerung zu rufen. Folgen wir dem unsterblichen Seneca und blicken wir hinter den äußeren Schein.«
Bahram begriff, dass Captain Elliott weitaus klüger war, als er gedacht hatte: Da er wusste, dass er in Fanqui-Town wenig Autorität genoss, hatte er offensichtlich einiges darangesetzt, sich die Unterstützung einflussreicher Stimmen zu sichern.
»Ein Moment der Überlegung«, sagte Slade, »wird Ihnen offenbaren, meine Herren, dass der Kommissar uns einen großen Gefallen tut. Mit der Beschlagnahme unseres Eigentums unter Androhung von Gewalt liefert er genau das, was Lord Palmerston für eine Kriegserklärung braucht: einen casus belli.«
Die Proteste verebbten, und es trat Stille ein.
»Ich habe mich näher mit der Sache befasst und bin schon nach kurzer Nachforschung auf mehrere Fälle gestoßen, in denen die
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