Der rauchblaue Fluss (German Edition)
insgeheim frohlockte er: Endlich bot sich ihm die Gelegenheit, eine kleine Rache für das zu nehmen, was er durch Mr. Burnham hatte erdulden müssen. »Die Zahl ist falsch«, sagte er.
»Dim-gaai? Woher Sie wissen, Ah Nil?«
»Mr. Burnhams Buchhalter ist ein Freund von mir. Er hat mir gesagt, dass Mr. Burnhams Bestände noch größer sind als die von Seth Bahramji.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich bin mir ganz sicher.«
»Dak! Ich sorge, dass Kommissar weiß.«
Die Tage vergingen, und Bahram schlief immer schlechter. Die Khidmatgars mochten die Fensterläden noch so sorgfältig schließen, der helle Laternenschein vom Maidan drang trotzdem herein, und wenn patrouillierende Soldaten oder Wachleute am Fungtai Hong vorbeimarschierten, huschten ihre Schatten über Decke und Wände. Auch ihre Stimmen ließen sich nicht ausblenden: Selbst bei geschlossenen Fenstern waren ihre Rufe und Kommandos noch zu hören.
Alle paar Stunden weckten Bahram Gong- und Beckenschläge, und dann lag er reglos da, betrachtete die geisterhaften Schatten und horchte auf Stimmen. Manchmal schienen sie ganz nah: Er hörte Schritte in den Fluren, er vernahm ein Geflüster rings um sein Bett, und es gab Momente, in denen es ihm schwerfiel, nicht an der Klingelschnur zu ziehen. Aber Vico war nicht da, er hatte sich zur Anahita aufgemacht, um den Transport der Ladung in das Depot zu organisieren, das man für das Opium eingerichtet hatte, und außer ihm gab es niemanden, mit dem Bahram hätte reden können.
Selbst das Laudanum half nicht mehr, allenfalls ließ es die Geräusche lauter und die Träume lebhafter erscheinen. Eines Nachts, nachdem er reichlich davon eingenommen hatte, träumte er, Chi-mei sei in den Achha Hong gekommen. Sie hatte oft damit gedroht; immer wieder würden Blumenmädchen in die Faktoreien geschmuggelt, hatte sie gesagt. Sie würden Männerkleider anziehen und sich einen Zopf flechten, und niemand würde etwas merken.
In Bahrams Traum war es ein Tag wie jeder andere in Fanqui-Town. Am Abend wollte er in den Klub und zog sich gerade um, als Vico in sein Schlafzimmer kam.
»Patrão, ein chinesischer Herr will Sie sprechen. Ein gewisser Li Sin-saang.«
»Wer ist das? Kennen Sie ihn?«
»Nein, Patrão, ich glaube, er war noch nie hier. Aber er sagt, es sei wichtig.«
»Na gut, führen Sie ihn in den daftar.«
Der daftar war um diese Zeit natürlich leer; der Munshi saß in seiner Kammer, und die Khidmatgars hatten bereits sauber gemacht. Bahram setzte sich in einen der großen Sessel. Wenig später ging die Tür auf, und eine schmale kleine Gestalt in einem Gewand mit Brust- und Rückeneinsatz und mit einer runden Kappe auf dem Kopf trat ein.
Bei der schwachen Beleuchtung im daftar konnte Bahram das Gesicht nicht erkennen. Er verneigte sich förmlich und sagte: »Chin-chin, Li Sin-saang.«
Die Gestalt schwieg, bis Vico hinausgegangen war, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Mister Barry so viel dumm!«
Er war wie vom Donner gerührt. »Chi-mei? Warum komm hier? Chi-mei mach so viel schlecht Ding.«
Chi-mei überhörte seine Worte. Sie nahm eine Lampe, ging damit im daftar umher und musterte die Gegenstände, die sich im Lauf der Jahre darin angesammelt hatten. Ihre Miene verriet, dass nicht viele davon ihre Zustimmung fanden.
»All alt Ding. Warum Mister Barry hab hier?«
Der vertraute Ton wirkte beruhigend: Sie sprach oft so mit ihm, gereizt und zugleich nachsichtig, wie mit einem unfolgsamen Kind. Er lachte.
Das Einzige, was ihr zu gefallen schien, war der Sekretär mit seinen vielen verschlossenen Schubladen. Sie inspizierte ihn eingehend, dann klopfte sie auf eine der Schubladen. »Was-Ding hab hier?«
Bahram zog einen Schlüsselbund hervor und öffnete die Lade. Ein großer Lackkasten war darin.
»Chi-mei geb Mister Barry, nein?«
»Ja, Chi-mei hat geb das-Ding.«
»Warum Mister Barry hab hier? Nix mag?«
»Mag. Mag.«
Sie wandte sich vom Schreibtisch ab und sah sich weiter im Raum um. »Wo Mister Barry schlaf?«, fragte sie. »Bett nix hier.«
»Schlaf Schlafzimmer«, antwortete er und zeigte mechanisch in die Richtung. »Aber Chi-mei kannix rein.« Doch sie hatte bereits die Tür aufgemacht und durchquerte den Flur. Unter vergeblichem Protest folgte er ihr. Sie beachtete ihn nicht, und als sie das Bett mit der seidenen Überdecke sah, streckte sie sich darauf aus und öffnete ihr Gewand. Der Anblick ihrer Brüste, die daraus zum Vorschein kamen, verzauberte ihn. Er legte sich neben sie,
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