Der rauchblaue Fluss (German Edition)
einmal auf die Aussicht muss ich verzichten, die ich bei Markwick’s hatte, denn auch hier geht mein Fenster auf den Maidan hinaus! Ich hatte wirklich großes Glück. Jacqua vermisse ich natürlich schrecklich, aber ab und zu sehe ich ihn über die Absperrungen hinweg, und manchmal schickt er mir, wenn es sich einrichten lässt, mit einem der Dolmetscher Jujuben und kandierte Früchte. Und bei Charlie zu wohnen ist keine geringe Entschädigung. Wir verbringen die Zeit zusammen auf höchst angenehme Weise, und ich mag gar nicht daran denken, dass sie irgendwann endet.
Du hast gerüchteweise sicher gehört, welche Entbehrungen wir angeblich in den letzten Wochen zu erdulden hatten. Glaub kein Wort davon, liebe Paggli: Wir werden großzügig mit Essen und Trinken versorgt. Die fehlenden Dienstboten sind die ärgste Unbill, der wir uns ausgesetzt sehen, und das ist, wenn Du mich fragst, im Grunde eine ausgesprochen heilsame Erfahrung. Ich kann Dir gar nicht sagen, welches Vergnügen es mir bereitet, in der Enklave umherzugehen und zu wissen, wie diese Fanqui-Kaufleute, die durch ihre Verbrechen reich und faul geworden sind, ihre Böden selbst wischen, ihre Betten selbst machen, ihre Eier selbst kochen müssen usw. usw. Vielleicht ist das die einzige Strafe, die sie jemals bekommen werden.
Du glaubst nicht, wie hilflos , ja geradezu verzweifelt manche von ihnen sind. Erst vor ein paar Tagen kam so ein fetter alter Kerl im Schlafrock hinter mir hergewatschelt und flehte mich förmlich an, als Lakai in seine Dienste zu treten. Nein, Sir, sagte ich und richtete mich zu meiner vollen Größe auf, ich bin ein freier Mann und denke nicht im Traum daran, jemand anders zu dienen.
Es ist immer wieder amüsant, die Szenen zu beobachten, die sich zwischen den Fanquis und den Dolmetschern abspielen (die einander in einem Zelt auf dem Maidan ablösen, direkt vor meinem Fenster). Die Dolmetscher haben Anweisung, unsere Beschwerden und Fragen entgegenzunehmen, und werden von den Fanquis Tag und Nacht belagert: Mr. A. hat sein Hemd schmutzig gemacht und verlangt, dass es gewaschen wird, Mr. B. ist wütend, weil er seine Tagesration Quellwasser nicht bekommen hat, Mr. C. hat sich beim Fegen die Hose zerrissen und wird keine Ruhe geben, bis ein Schneider sie geflickt hat, Mr. D. verlangt einen Korb Orangen, und Mr. E. schwört, dass Ratten sein Zimmer heimsuchen und seine ganzen Lebensmittel wegfressen, weswegen man ihm auf der Stelle drei Schinken und fünf Laib Brot zu liefern habe. Mr. F. kommt schweißgebadet angelaufen und erklärt, ein Kalb sei durch seinen Flur galoppiert, und wenn das noch einmal vorkomme, werde er ohne Rücksicht auf Verluste seine Donnerbüchse abfeuern. Mr. G. beklagt sich, er sei von einer Kompanie Wachleute beleidigt worden, und wenn die Übeltäter nicht angemessen bestraft würden, werde er sie allesamt vor seinen Bambusstock zitieren. Die Dolmetscher hören sich das alles mit einer Engelsgeduld an und unterbrechen nur von Zeit zu Zeit mit einem »Hae yaw – wie kann sein? Mandarin so viel böse, mach groß-groß Tamtam … «. Es sind so gutmütige Kerle, und sie geben sich alle Mühe, sich das Lachen zu verbeißen.
Einer der wenigen Kaufleute, deren Niederlassung während dieser ganzen Zeit unangetastet blieb, ist Mr. Bahram Moddie, der Seth aus Bombay (er reist mit seinem eigenen Schiff und kann deshalb sein Personal überallhin mitnehmen). Mr. Moddie ist einer der größten Verlierer in der Opiumaffäre (über ein Zehntel der Kisten soll ihm gehört haben), und das bekümmert ihn so sehr, dass er seine Privaträume nur noch selten verlässt; selbst Zadig Bey, einer seiner ältesten Freunde, sieht ihn kaum noch.
Aber Mr. Moddies Personal ist eine muntere Truppe, und seit einigen Wochen führen sie eine Art offenes Haus und laden jeden, der möchte, zum Essen ein. Ich kann Dir gar nicht sagen, was für ein Segen das für mich ist, liebe Paggli, denn sie haben einen einzigartigen Khansama, und das Essen ist ausnahmslos vorzüglich – ich wusste bis dahin gar nicht, wie sehr ich meine dholl und meinen karibat vermisse!
Auch die Gesellschaft ist höchst angenehm: Mr. Moddies Zahlmeister, ein lustiger Bursche namens Vico, denkt sich immer neue Späße aus (im Moment ist er nicht da, er überwacht die Übergabe von Mr. Moddies Opium an die Behörden und wird schmerzlich vermisst). Mr. Moddies Munshi ist ein interessanter, etwas geheimnisvoller Mensch. Er ist Bengale und kommt angeblich aus Tippera,
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