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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Wahrscheinlich hatte nur jemand eine Etage höher einen schweren Gegenstand fallen lassen, doch Bahram wusste, wie abergläubisch seine Verhandlungspartner waren, und ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. Er legte die Hand aufs Herz und sprach: »Hak naam te Saahebnu – Wahrheit ist der Name des Allmächtigen.«
    Dies beendete erwartungsgemäß die Auseinandersetzung: Die Mistries akzeptierten seine Bedingungen, und Bahram ging unverzüglich ans Werk.
    Im Lauf der Jahre hatte er ein weitläufiges Netz von Beziehungen aufgebaut, das kleine Händler, Karawanenführer und Geldverleiher umfasste, die für den Opiumtransport aus den Marktstädten West- und Zentralindiens nach Bombay zuständig waren. Jetzt schwärmten seine Kuriere und Sendboten nach Gwalior, Indore, Ghopa, Dewas, Baroda, Jaipur, Jodhpur und Kota aus und verbreiteten die Kunde, dass dieses Jahr nur ein einziger Seth in Bombay einen fairen Preis für Opium biete. Um das Geld für die Käufe aufzubringen, liquidierte Bahram unterdessen seine realen Vermögenswerte und nutzte jede erreichbare Kreditquelle. Als sich zeigte, dass das noch nicht reichte, nahm er – gegen den erbitterten Widerstand seiner Frau – Hypotheken auf ihre gemeinsamen Grundstücke auf und verkaufte alles, was sie an Gold, Silber und Schmuck besaßen.
    Doch beinahe wäre es ihm trotz alledem nicht gelungen, eine Ladung zusammenzustellen, die seinen ehrgeizigen Vorstellungen entsprach. Dass es dennoch glückte, war das Resultat einer unvorhergesehenen Entwicklung. Bis zum Ende der Monsunzeit, wenn normalerweise der größte Teil der Flotte nach Kanton auslief, waren die Gerüchte über bevorstehende Schwierigkeiten in China derart hartnäckig geworden, dass die Rohstoffpreise ins Bodenlose stürzten. Als niemand mehr kaufen wollte, schlug Bahram zu.
    Auf diese Weise gelang es ihm, die Ladung zusammenzustellen, die in dem Sturm vom September 1838 in Seenot geriet. Der Gesamtwert – vorausgesetzt, Bahram erzielte die erwarteten Preise – würde deutlich über einer Million chinesischer Silber-Tael liegen, was etwa vierzig englischen Tonnen des Edelmetalls entsprach.
    Wie viel davon war in dem Sturm verloren gegangen? Als er jetzt im Bett lag, in seiner Kajüte, noch benommen von den Nachwirkungen des Opiums, wurde Bahram von Panikattacken erfasst. Jedes Mal, wenn Vico auftauchte, fragte er ihn: »Wie viel, Vico? Kitna? Wie viel haben wir verloren?«
    »Wir zählen noch, Patrão, wir wissen es noch nicht.«
    Als Vico dann endlich das Ergebnis der Bestandsaufnahme vorlegte, erwies es sich als zugleich besser und schlechter als erwartet: Seiner Schätzung nach hatten sie etwa dreihundert Kisten verloren – rund zehn Prozent der Ladung.
    Der Verlust von Handelsware im Gegenwert von fünf Tonnen Silber war zweifellos ein schwerer Schlag, doch Bahram wusste, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. Wenn er die Versicherungssumme einrechnete, blieb ihm noch genug übrig, um seine Investoren auszuzahlen und einen ansehnlichen Gewinn zu machen.
    Die Frage war nur, wie geschickt er seine Karten ausspielte; er hatte das Blatt in der Hand, und der Tisch war bereit.
    Ein Mädchen weinen zu sehen war für Fitcher schwer, ja fast unerträglich. Nachdem er mächtig an seinem Bart gezupft und sich viele Male geräuspert hatte, sagte er plötzlich: »Es wird Sie vielleicht überraschen, Miss Paulette, aber ich habe Ihren Vater gekannt. Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, könnte man sagen.«
    Paulette schaute auf und wischte ihre Tränen weg.
    »Aber das ist incroyable, Sir, wo hätten Sie meinem Vater denn begegnen sollen?«
    »Hier. In Pimplemouse. In diesem botanischen Garten … «
    Das war vor über dreißig Jahren gewesen, als Fitcher nach seiner ersten Chinareise auf dem Heimweg nach England war. Die Reise war schwierig: Seine altmodische »Pflanzenkabine« wurde in einem Hagelwetter beschädigt, und so wurden seine Pflanzen vom Salzwasser benetzt und vom Wind zerzaust. Da die Hälfte seiner Sammlung bereits verloren war, setzte er die Reise nach Pamplemousses in einem Zustand der Verzweiflung fort. Dort jedoch machte er in einem der Lagerschuppen nicht weit vom Eingang Bekanntschaft mit Pierre Lambert: Der Botaniker war noch jung, er war erst kürzlich aus Frankreich angereist und hatte unterwegs neuartige Behälter für den Transport von Pflanzen ausprobiert: Er hatte die Trennwände aus alten hölzernen Schrankkoffern herausgenommen und sie durch dicke Glasscheiben

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