Der rauchblaue Fluss (German Edition)
ersetzt. Zwei der Behälter schenkte er Fitcher; Geld wollte er keines dafür.
»Ich wollte mich schon immer einmal bei Ihrem Vater bedanken, aber ich habe ihn nie wiedergesehen. Es tut mir sehr leid, dass er verstorben ist.«
Daraufhin verlor Paulette die Fassung und sprudelte ihre Geschichte hervor: Ihr Vater sei in Kalkutta gestorben, erzählte sie Fitcher, und habe sie mittellos zurückgelassen. Sie habe beschlossen, nach Mauritius zu reisen, wohin ihre Familie früher Beziehungen gehabt habe, und es sei ihr gelungen, sich auf ein Kuli-Schiff, die Ibis , zu schmuggeln. Die Reise sei in vielerlei Hinsicht katastrophal verlaufen, doch dank der Freundlichkeit einiger Besatzungsmitglieder sei es ihr geglückt, unbehelligt an Land zu gehen. Der zweite Steuermann des Schiffs, Zachary Reid, habe ihr die Kleider geliehen, die sie trage, aber der sitze jetzt hinter Gittern und solle demnächst nach Kalkutta abgeschoben werden, wo er wegen Meuterei vor Gericht gestellt werden solle. Da sie völlig mittellos sei, habe sie den botanischen Garten aufgesucht, in dem ihr Vater einst tätig gewesen war, ihn jedoch verwahrlost vorgefunden, und da sie nicht gewusst habe, wohin, habe sie in dem verlassenen Häuschen Unterschlupf gesucht, dort die vergangenen Tage verbracht und in der freien Natur nach Essbarem gesucht.
»Und was werden Sie jetzt tun? Wissen Sie das schon?«
»Nein. Noch nicht. Aber bis jetzt bin ich einigermaßen zurechtgekommen, und ich wüsste nicht, warum ich nicht noch eine Zeit lang so weitermachen sollte.«
Fitcher hüstelte, räusperte sich und wandte sich ihr zu. »Und wenn ich Ihnen etwas Besseres zu bieten hätte, Miss Paulette? Eine Arbeit? Würden Sie das wenigstens in Erwägung ziehen wollen?«
»Eine Arbeit, Sir?«, fragte sie misstrauisch. »Welcher Art, wenn ich fragen darf?«
»Gartenarbeit – allerdings auf einem Schiff. Sie hätten Ihre eigene Kajüte, vollständig ausgestattet, wie es einer jungen Dame gebührt. Sie bekämen den Lohn eines Bootsmannes, bei freier Kost.« Er machte eine Pause. »Das bin ich Ihrem Herrn Vater schuldig.«
Paulette schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie sind sehr gütig, Sir, aber ich bin kein herrenloses Kätzchen. Mein Vater hätte nicht gewollt, dass ich mir Ihre Großzügigkeit zunutze mache. Und auch für mich selbst muss ich gestehen, Sir, dass ich es leid bin, von der Mildtätigkeit anderer zu leben.«
»Mildtätigkeit?«
Fitcher wurde sich plötzlich eines seltsamen Gefühls in bestimmten Teilen seines Körpers bewusst; es war, als würde er von einer unbekannten Krankheit angegriffen, mit Symptomen, die er noch nie an sich beobachtet hatte: Die Kehle schnürte sich ihm zu, seine Hände zitterten, und die Augen brannten. Er ließ sich auf den Stuhl sinken, hob die Hand, fasste sich an die Kehle und stellte bestürzt fest, dass es von den Enden seines Bartes tropfte. Er musterte seine nassen Fingerspitzen, als hätten sie sich in etwas Unerklärliches verwandelt – wie Ranken, die aus Dornen wachsen.
Fitcher war kein Mann, der nahe am Wasser gebaut hatte. Auch als Junge hatte er Schläge, Püffe und Tritte ertragen, ohne eine Träne zu vergießen. Doch nun war es, als bräche sich die Seelenpein eines ganzen Lebens Bahn und strömte sein Gesicht herab.
Paulette kniete neben ihm nieder und sah ihn besorgt an. »Aber was ist Ihnen denn, Sir? Wenn ich Sie gekränkt habe, so lag es bestimmt nicht in meiner Absicht, glauben Sie mir.«
»Sie verstehen nicht«, brachte Fitcher schluchzend hervor. »Ich habe Ihnen nicht aus Mildtätigkeit diese Arbeit angeboten, Miss Paulette. Es ist vielmehr so, dass auch ich eine Tochter hatte. Sie hieß Ellen und reiste mit mir. Schon als sie noch klein war, wollte sie immer nach China fahren, um Pflanzen zu sammeln, wie ich es getan hatte. Vor vier Wochen erkrankte sie plötzlich, und wir konnten nichts tun. Sie hat uns verlassen, und ich weiß nicht, wie ich ohne sie weiterleben soll.«
Er nahm die Hände von seinem Gesicht und schaute zu ihr auf: »Die Wahrheit ist, Miss Paulette, dass Sie einem alten Mann einen großen Gefallen tun würden.«
Drittes Kapitel
V iele Jahre hindurch hatte Bahram die junge Stadt Sin- gapur für einen schlechten Witz gehalten.
Wenn er in den alten Zeiten durch die Straße von Malakka segelte, lief er nie Singapur an, sondern immer Malakka, eine seiner Lieblingsstädte. Er mochte die Lage, die nüchternen holländischen Gebäude, die chinesischen Tempel, die weißgetünchte
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