Der rauchblaue Fluss (German Edition)
China, es werde sogar gemunkelt, der Kaiser werde demnächst den Import von Opium ausnahmslos verbieten. Offenbar stünden unsichere Zeiten bevor, und das sei der Grund, warum sich viele Geschäftsleute in Bombay bereits aus dem Chinahandel zurückzögen. Sie selbst seien zudem schon von jeher der Ansicht gewesen, dass dieses Geschäftsfeld zu risikoreich und zu spekulativ sei; daher seien sie nun zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste wäre, die Exportabteilung abzustoßen, bevor sie zu einer Belastung für das übrige Unternehmen werden könne.
Bahram konnte seine Schwäger nur in unverhohlener Verblüffung anstarren. Da er viel besser über die Lage unterrichtet war als sie, hatte er den Gerüchten und dem Klatsch weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Er war zur genau umgekehrten Schlussfolgerung gelangt: dass die derzeitige Lage geschäftliche Chancen eröffnete, wie sie sich im Laufe eines Menschenlebens höchstens ein- oder zweimal boten. Ähnliche Gerüchte hatten auch schon 1820 die Runde gemacht, und Seth Rustamji hatte versucht, Bahram in diesem Jahr von der Verschiffung von Opium abzuhalten. Bahram jedoch hatte nicht nur auf der Lieferung bestanden, sondern sogar die bis dahin größte Ladung verschifft. Die Sache war genau seinen Erwartungen entsprechend ausgegangen, und er hatte einen immensen Gewinn erzielt. Durch diesen Coup war er in die kleine Elite ausländischer Kaufleute aufgerückt, die in Kanton als daaih-ban bekannt waren oder Taipans, wie sie sich gern selbst nannten.
Bahram hatte gute Gründe für die Annahme, dass sich die damalige Entwicklung in diesem Jahr wiederholen würde: Vor Kurzem hatte er erfahren, dass führende Mandarine dem Kaiser von China in einem Memorandum die Legalisierung des Opiumhandels empfohlen hatten. Es war damit zu rechnen, dass die Empfehlung schon bald umgesetzt würde: Der Staat konnte mit sehr hohen Einnahmen rechnen für den Fall, dass er den Handel besteuerte, und auch die Mandarine würden enorme Profite einstreichen. Es war so gut wie sicher, dass daraufhin die Nachfrage nach Opium ins Unermessliche steigen würde.
Dies alles hätte Bahram den Mistrie-Brüdern mitteilen können; er hätte ihnen auch sagen können, dass er vorhatte, dieses Jahr eine ungewöhnlich große Ladung Opium zu verschiffen, in der Erwartung, dadurch einen hohen Gewinn für das Unternehmen zu realisieren. Doch er verschwieg ihnen beides. Er war nämlich zu einer längst überfälligen Erkenntnis gelangt: Viel zu lange schon hatte er seinen Verstand, seine Nervenkraft und seine Erfahrung eingesetzt, um Geld für seine Schwäger zu verdienen. Es war an der Zeit, auf eigene Rechnung zu arbeiten. Wenn er alle seine finanziellen Möglichkeiten nutzte, seine Ersparnisse flüssigmachte, seinen Immobilienbesitz belieh, Shirinbais Schmuck verkaufte und sich Darlehen von Freunden beschaffte, konnte er mit Sicherheit das eingesetzte Kapital verdoppeln oder verdreifachen und anschließend sein eigenes Unternehmen gründen. Das Risiko musste eingegangen werden.
Er bedachte seine Schwäger mit einem höflichen Lächeln. »Nein«, sagte er. »Nein, ihr werdet die Exportabteilung nicht verkaufen.«
»Wie sollen wir das verstehen?«
»Ihr werdet sie nicht verkaufen, weil ich selbst sie euch abkaufen werde.«
»Du?«, riefen sie wie aus einem Munde. »Aber bedenke doch die Kosten … da sind die Schiffe … die Anahita … die Besatzungen und ihre Heuer … die Versicherungen … die Büros … die Lagerhäuser … das Betriebskapital … die fixen Kosten.«
Sie verstummten und sahen ihn nur noch fassungslos an, bis einer von ihnen sich zu der Frage durchrang: »Verfügst du denn über die nötigen Mittel?«
Bahram schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Im Moment noch nicht. Aber sobald wir uns auf einen Preis geeinigt haben, gebe ich euch mein Wort, dass ihr das Geld binnen eines Jahres bekommt. Bis dahin bitte ich euch, die Exportabteilung unangetastet zu lassen und mir zu gestatten, sie nach meinem Gutdünken zu leiten.«
Die Brüder warfen einander unbehagliche Blicke zu, weil sie nicht wussten, was sie antworten sollten. Um der Sache ein Ende zu machen, erklärte Bahram freundlich: »Ihr habt gar keine Wahl. In Bombay weiß jeder, dass ich die Abteilung aus dem Nichts aufgebaut habe. Niemand würde sie gegen meinen Rat kaufen. Ihr würdet nicht einmal einen Bruchteil dessen dafür erzielen, was sie wirklich wert ist.«
In diesem Moment kam von oben ein lautes Geräusch.
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