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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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portugiesische Kirche, den arabischen Suk und die Gassen, in denen die alteingesessenen Gujarati-Familien wohnten. Und als Feinschmecker hatte er auch eine große Vorliebe für die Bankette entwickelt, die von den Peranakan-Kaufleuten gegeben wurden.
    Singapur war damals nur eine von vielen bewaldeten Inseln an der engsten Stelle der Straße von Malakka. Auf ihrer Südseite, an der Flussmündung, gab es ein kleines malaiisches Dorf, ein Kampong: Manchmal ankerten in der Nähe Schiffe und schickten ihre Beiboote hinüber, um ihre Wasser- und Lebensmittelvorräte aufzufüllen. Aber die Dschungel der Insel waren berüchtigt wegen ihrer Tiger, Krokodile und Giftschlangen. Niemand hielt sich dort länger auf als unbedingt notwendig.
    Als die Briten diesen kaum vielversprechenden Ort für eine neue Stadtgründung auswählten, hatte Bahram wie viele andere angenommen, dass der Wald die Ansiedlung bald wieder verschlingen werde: Warum sollte irgendjemand hier Station machen, da doch Malakka nur eine Tagesreise entfernt war? Aber im Lauf der Jahre hatte Bahram immer öfter den Wünschen seiner Offiziere nachgeben müssen, die behaupteten, dass die Hafenanlagen in Singapur besser seien; vor allem Mr. Tivendales günstig gelegene Werft war ganz nach ihrem Geschmack – sie rühmten sie oft als die beste in der gesamten Region.
    Diese Werft steuerte die Anahita nach dem Wirbelsturm an. Zwar hatte sie ihren Klüverbaum und ihre Galionsfigur verloren, doch ihre übrigen Masten waren intakt geblieben, sodass sie die Strecke in weniger als einer Woche bewältigte. Wegen der anhaltenden Beschwerden durch das aufgenommene Rohopium musste Bahram während dieses Teils der Reise noch das Bett hüten. Mehrere Tage lang litt er unter Übelkeit. Die Attacken waren stärker als alles, was er in dieser Hinsicht jemals erlebt hatte, schlimmer noch als seine schlimmsten Anfälle von Seekrankheit. Ein- bis zweimal pro Stunde wurde er von Krämpfen geschüttelt, die sich anfühlten, als wollte sein Körper sich seiner Eingeweide entledigen, indem er sie durch den Mund ausstieß. Diese Aufwallungen schwächten ihn dermaßen, dass er sich zeitweise nur mit Vicos Hilfe von einer Seite auf die andere drehen konnte.
    Als die Anahita in Singapur einlief, war Bahram immer noch zu schwach, um das Schlafzimmer zu verlassen; er zog es vor, an Bord zu bleiben, während das Schiff instand gesetzt und aufpoliert wurde. Das war kein großes Opfer, denn der Komfort in Mr. Dutronquoys Hotel, der einzigen annehmbaren Unterkunft in der Stadt, reichte bei Weitem nicht an den seiner Kajüte heran, deren luxuriöse Ausstattung es mit jedem anderen Schiff aufnehmen konnte, abgesehen vielleicht von einer königlichen Jacht: Neben einem Schlafzimmer umfasste sie auch einen Salon, ein Arbeitszimmer, ein Badezimmer und ein Wasserklosett. Wie in vielen anderen Bereichen der Anahita waren hier die Schotten mit Motiven aus der alten persischen und assyrischen Kunst verziert, die als Reliefs auf den Holzpaneelen angebracht waren. Da gab es kannelierte Säulen wie die von Persepolis und Pasargadae, steif im Profil stehende Speerträger, geflügelte Faravahars und springende Pferde. In einer Ecke der Kajüte stand ein großer Mahagonisekretär, in einer anderen ein kleiner Altar mit einem gerahmten Bildnis des Propheten Zarathustra.
    Das Bett war eines der luxuriösesten Möbelstücke in der Kajüte: Es war ein Himmelbett und stand so, dass Bahram durch das Fenster den Hafen sehen konnte.
    Die Tivendale-Werft lag an der Mündung des Singapore River, zwischen dem inneren Hafenbecken und der äußeren Ankerreede in der Bucht gegenüber. Da die Anahita zwischen den beiden Becken lag, drehte sich ihr Heck mit den Gezeiten: War es nach außen gerichtet, wurden Hunderte von Bumbooten und tongkangs sichtbar, die die in der Bucht vor Anker liegenden Schiffe umschwärmten. Auf der Fahrt zurück zur Küste kamen sie manchmal so dicht an der Anahita vorbei, dass Bahram hörte, wie die Bootsleute sich in Tamil, Telugu und Oriya unterhielten. Wenn sich das Heck der Anahita zurückdrehte, tauchten vor Bahrams Augen die neu erbauten Speicher und Lagerhäuser auf. Manchmal schwenkte es so weit herum, dass er sogar flussaufwärts zum Boat Quay schauen konnte, wo die kleineren »Landboote« Fracht und Passagiere anlandeten.
    Das Getümmel kam nie zur Ruhe, und der Bootsverkehr blieb konstant. Nach und nach wurde Bahram klar, warum in letzter Zeit mehrere Geschäftsleute aus seinem Bekanntenkreis

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