Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Unmöglich. Dann ich auch wütend. Sehr wütend. Ich nie mehr seh wieder Vater.«
Trotz seiner heftigen Ablehnung hörte Nil an Ah Fatts Tonfall, dass die Wirkung des Schiffes auf ihn zunahm, dass dessen Magnetfeld immer stärker wurde. »Hör zu, Ah Fatt«, sagte er. »Was immer zwischen dir und deinem Vater vorgefallen ist – es ist lange her. Vielleicht hat er sich ja verändert. Meinst du nicht, du solltest herausfinden, ob er an Bord des Schiffes ist?«
»Nix muss herausfinden«, sagte Ah Fatt. »Ich weiß. Er ist da. Ich weiß er ist da.«
»Woher?«
»Seh Flagge? Mit Säule? Ist nur oben, wenn Vater da.«
»Warum schickst du ihm dann nicht eine Nachricht?«
»Nein.« Das Wort kam wie eine kleine Explosion aus Ah Fatts Mund. »Nein. Nix will.«
Nil schaute auf und sah, dass sich Ah Fatts Gesicht, das bisher nur wenige Gemütsregungen gezeigt hatte, plötzlich zu einer kummervollen Maske verzerrte. Doch im nächsten Moment straffte sich Ah Fatt und schüttelte den Kopf, wie um ihn klar zu bekommen. Dann kippte er einen Schluck Schnaps und sagte: »Mr. Nil, du mach dass ich reden zu viel. Jetzt nix mehr reden. Wir schlafen.«
»Wo?«
»Hier. Auf Boot. Lady sag, wir kann bleiben.«
Viertes Kapitel
F ür die Reise von Mauritius nach Südchina beschloss Fitcher, die kürzeste Route zu nehmen, durch die Sundastraße, mit Zwischenstation zur Proviantaufnahme in Anjer, dem Hafen, der dem ständig rauchenden Kegel des Krakatau gegenüberlag.
Als der Befehl zum Segelsetzen kam, lag die Ibis noch in Port Louis vor Anker. Beim Auslaufen aus dem Hafen passierte die Redruth den Schoner im Abstand von einigen Hundert Metern. Es war niemand an Deck, und die Ibis mit ihren kahlen Masten wirkte winzig im Vergleich zu den hohen Segelschiffen, die um sie herum ankerten. Paulette fand es im höchsten Grade erstaunlich, dass ein so kleines Schiff eine so große Rolle im Leben so vieler Menschen spielen konnte. Als sich die Segel der Redruth im Wind blähten und die Brigg Fahrt aufnahm, konnte Paulette sich nicht vom Anblick der Ibis losreißen. Fitcher musste sie an ihre Pflichten erinnern.
»Rasch, an die Arbeit, Miss Paulette. Auf See ist nie Zeit für Müßiggang.«
Das war, wie Paulette bald herausfinden sollte, keine Übertreibung. Die Aufgabe, sich auf hoher See um Pflanzen zu kümmern, ließ ihr kaum Zeit, sich auszuruhen. Ständig war irgendetwas zu erledigen. Es war, als müsste sie einen Garten pflegen, der einem großen, äußerst beweglichen Tier auf den Rücken geschnallt war. Fast nie lief die Redruth auf ebenem Kiel. Manchmal schwankte sie nur leicht, doch oft kippten die Decks steil von einer Seite zur anderen, oder das Schiff stampfte, sodass der Bug abwechselnd tief ins Wasser eintauchte und wieder in die Höhe schoss. Jede dieser Bewegungen war eine potenzielle Gefahr für die Pflanzen. Ein leicht veränderter Einfallswinkel konnte einen schattenliebenden Strauch der Gluthitze der Tropensonne aussetzen, eine Welle, die sich am Schiffsrumpf brach, konnte als salziger Sprühregen auf die Blumentöpfe niedergehen, und wenn das Schiff besonders stark überholte, konnten die Ward’schen Kästen aus ihren Verankerungen rutschen und über das Deck schlittern.
Für all diese und viele andere Notfälle gab es Regeln und Vorschriften, allesamt von Fitcher selbst aufgestellt. Allerdings war er kein Freund langatmiger Erklärungen, und so musste Paulette sich das meiste aneignen, indem sie ihm zusah und alles genauso machte wie er. Manchmal jedoch begann er bei der Arbeit vor sich hin zu murmeln, und Paulette merkte, dass sie auch aus diesen fast unverständlichen Vorträgen viel lernen konnte.
Etwa zum Thema Bodenarten. Fitcher warf einen Blick auf eine Pflanze, die sogar im Schatten zu welken begonnen hatte, und führte ihren schlechten Zustand auf die Zusammensetzung der Erde zurück, in die sie gepflanzt worden war. Manche Böden seien »warm«, sagte er, andere »kalt«, und damit meinte er, dass manche Bodenarten sich schneller erwärmten als andere und manche die Eigenschaft hatten, Wärme über einen längeren Zeitraum zu speichern. Um stets das erforderliche Gleichgewicht herstellen zu können, hatte er Tonnen mit Reserveerde an Bord, auf denen »kühl« oder »warm« stand. Erstere war heller, da sie eher kalkhaltig war, Letztere im Allgemeinen dunkler, weil sie Torf und überhaupt mehr pflanzliche Anteile enthielt. Brauchte er Erde der einen oder der anderen Sorte, musste Paulette sie ihm von
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