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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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ihnen Schüsseln vorgesetzt wurden, in denen Bällchen aus Hühnerhackfleisch in klarer Brühe schwammen. Mit seinen Stäbchen zeigte er auf eines davon. »Wie das wir lernen schwimmen. Die pun-tei – die Landmenschen – , sie lachen uns aus, sagen, wir haben Flossen statt Füße. Auch ich lern schwimmen, wenn Yi Ma nix ist da, manchmal sogar geh tauchen mit andern. Dann einen Tag sie erwischt mich und zieht mich aus Wasser. Schlag mich, vor allen, Schande so sehr, ich denk, ich werf mich in Fluss, und wenn kommt Drachenfisch, auch gut. Ich denk, sie das macht, weil ich hab keine Eltern. Ich denk: Wenn ich ihr eigen Kind, sie nicht so schlag. Ich denk: Ich lauf besser weg. Ich mach Plan, ich sprech mit Bettelmänner, aber Älterschwester kriegt raus. Dann sie mir alles sagt: dass Yi Ma nicht ist Tante, ist Mutter. Dass ›Onkel Barry‹ nicht ist Kai-yeh, ist Vater. Ich nix kann frag Mutter, weil ich weiß, sie schlag Älterschwester, weil sie mir sagt. Ich wart, bis Onkel Barry kommt nächste Mal, und wenn allein, ich frag: Ist wahr du Vater und Yi Ma Mutter? Erst er sagt, nein, nix wahr. Aber ich wieder frag, und wieder, und dann er anfang weinen und gibt alles zu. Er sagt, ja, alles wahr. Er Vater und er noch hat ander Familie in Bombay.«
    Ah Fatt verstummte und bedeutete Nil, seine Tasse zu nehmen. Sie tranken, und dann schwieg auch Nil eine Zeit lang. Erst als Ah Fatt die Tassen wieder gefüllt hatte, sagte er leise: »Das war doch bestimmt ein Schock für dich? Das alles zu erfahren. Auf diese Art.«
    »Schock? Ja. Vielleicht.« Ah Fatts Stimme war tonlos und frei von Emotionen. »Am Anfang ich will nur wissen einfach. Wissen über Bombay. Älter Frau. Schwestern. Du kann vorstellen, wie komisch das alles für mich. Wenn ich klein, wir wohnen auf Boot wie hier das. Wir auch Armeleute wie hier die. Einfach arme Bootmensch, manchmal nix zu essen, wir essen Wind. Dann ein Tag ich hör, mein Vater hou-gwai, reicher Mann, reicher Weißer-Hut-Teufel. Jetzt ich denk, ich weiß, warum Mutter schlag mich – ich kein richtig China-yan, ich ihr geheim Schand, aber sie mich trotzdem braucht, wegen Geld Vater gibt. Aber jetzt ist egal. Hab ander Familie. Will wissen alles darüber. Ich frag Vater, aber er sagt nix. Nix mag reden davon. Erzählt von Malakka und Colombo und London, aber nix Bombay. Ich in Buch les, dass ›West Insel‹ – Indien – hat Gold und Magie, und ich will gehen – will dort fliegen wie Affenkönig. Aber das in mein Kopf – mein Fuß in Küchenboot, wo ich wohn. So wenn ich hör von Vaterschiff, Anahita , ich unbedingt will sehen.«
    »Ist es nach Kanton gekommen?«
    »Nein«, sagte Ah Fatt. »Groß Schiffe nix könn fahren nach Kanton, genau wie nix könn fahren den hier Fluss. Sie muss ankern in Huang-po, Whampoa in Englisch. Viel Boot fahr auf und ab, deshalb ich weiß von Schiff. Ich weiß, ein Jahr macht Rekord, siebzehn Tage Bombay bis Kanton. Wenn Vater kommt, ich sag: Nehm mich, nehm mich zu dein Schiff, und er rot in Gesicht, schüttelt Kopf. Er Angst, wenn mich nehmt, dann Schiff bringt Neuheit nach Bombay. Älter Frau wird hören von mir und wird geben Ärger. Schiff nicht sein Eigen, er sagt. Gehören Vaterschwager und Brüderschwager. Er wie Diener und muss sein Vorsicht. Aber das egal für mich. Ich ihm sag, ich will fahren, oder ich ihn Schand. Will fahren Whampoa auf meine Faust. Dann er sagt, ja, nehmt mit. Mich aber schickt mit Vico, sein Zahlmeister, geh nix selbst. Vico mir zeigt Schiff, mir erzählt Geschichte. Und ist wie ich seh in mein Kopf – Palast, wie Mandarinschiff sogar. Nix du glaub, wenn nix seh … «
    Er brach ab und zeigte auf das erhöhte, von einer Kompasslampe erhellte Achterdeck der Anahita . »Schau, nicht weit von Heck – dritt Mast, wie heißt?«
    »Der Besanmast?«
    »Ja. Der Mast wie Baum. Um Wurzel, auf Achterdeck, Schnitzbank, wo Leut kann sitzen. Großvater hat so baut, dass wie Banyan-Baum in Dorf. Vico mir sagt. Nachher, wenn ich seh Anahita, ich immer denk, das ist mein Bank … «
    Erneut unterbrach ihn die Köchin, die Schalen mit dampfendem Reis auf die Planke stellte, zusammen mit dem Rest des Hühnchens, auf fünf oder sechs verschiedene Arten zubereitet. Es roch verlockend, aber Nil war so in Ah Fatts Erinnerungen vertieft, dass er nicht darauf achtete.
    »Bist du noch einmal auf dem Schiff gewesen?«
    »Nein – nie mehr, aber oft sehen. Auf Lintin-Insel.«
    »Bist du da hingefahren, um deinen Vater zu sehen?«
    »Nein. Vater nie ist

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