Der rauchblaue Fluss (German Edition)
erzählte man sich in Cornwall nicht ohne Grund, der gute alte Fitcher Penrose würde aus Sparsamkeit »sogar Hundehaufen aufsammeln, um an den darin enthaltenen Talg zu kommen«. Und er selbst schämte sich keineswegs dafür, dass er in England als Pionier der Düngung mit Fäkalien galt. Das war eine von mehreren Gartenbautechniken der Chinesen, die ihm neu gewesen waren.
»In der Tat, Sir? Und es gab auch noch andere?«
»Allerdings. Das Ziehen von Zwergbäumen zum Beispiel, darin sind sie richtige Koryphäen. Und Gewächshäuser. Die haben sie schon seit Jahrhunderten. Raffinierte Dinger, aus Papier und Holz. Und dann die Veredelung.«
Davon hatte Paulette noch nie gehört. »Was ist das, bitte, Sir?«
»Das ist, wenn man einen Schössling direkt auf einen Zweig aufpfropft … «
Dies, sagte Fitcher, sei eine chinesische Gartenbaumethode, die er mit großem Gewinn in England verbreitet habe. Er verschwand in seiner Kajüte und kam mit einem von ihm selbst erfundenen Gerät zurück, das er als »Penrose Propagation Pot« vermarktete. Es hatte ungefähr Form und Größe einer Gießkanne, wies aber an der Seite einen Schlitz auf, der einen Schössling aufnehmen konnte. Neben dem Schlitz befand sich ein kleiner Ring, mit dem man den Topf an einem Ast aufhängen konnte. Mit dieser Vorrichtung konnte ein Spross Wurzeln bilden, ohne eingepflanzt werden zu müssen.
»Da wäre ich im Leben nicht draufgekommen, wenn ich es nicht in China gesehen hätte.«
Diese Geschichten erstaunten Paulette. Fitcher war in Aussehen und Betragen so sonderbar, dass sie ihn sich nur schwer als Pflanzensammler und unverwüstlichen Reisenden vorstellen konnte. Aus den Berichten ihres Vaters wusste sie jedoch, dass selbst Humboldt, der größte aller Sammler, ganz anders gewesen war als seine Legende – untersetzt, adrett und so sehr der Typ des Flaneurs, dass Menschen, die ihn aufsuchten, oft meinten, sie seien einem Hochstapler aufgesessen. Nicht dass Fitcher ein Forscher vom Schlage Humboldts gewesen wäre, aber die vielen Pflanzen und Geräte an Bord der Redruth bewiesen hinreichend seine Ernsthaftigkeit, seine Kompetenz und, ja, auch seine Leidenschaft.
»Bitte, Sir«, sagte sie eines Tages, »darf ich fragen, was Sie zu Ihrer ersten Chinareise bewogen hat?«
»Das dürfen Sie«, antwortete Fitcher mit einem Zucken der Augenbrauen. »Und ich werde Ihnen antworten, so gut ich kann. Das kam, als ich, um Geld zu verdienen, auf einem kornischen Frachtschoner fuhr … «
Einmal im Sommer, als der Schoner für ein paar Tage in London angelegt hatte, kam Fitcher zu Ohren, dass ein vornehmer Herr auf der Suche nach Seeleuten sei, die Erfahrung im Umgang mit Pflanzen hatten. Er hörte sich weiter um und erfuhr zu seiner Verblüffung, dass es sich um niemand anders als Sir Joseph Banks handelte, den Kurator des King’s Garden in Kew.
»Sir Joseph Banks?«, rief Paulette. »Doch nicht etwa der, der als Erster die Flora Australiens beschrieben hat?«
»Genau der.«
Fitcher hatte in seinen Jahren auf See seine wissenschaftlichen Interessen nicht vernachlässigt. Die Mußestunden, die andere Seeleute mit Rauchen oder Klatsch verbrachten, widmete er der Lektüre und der Weiterbildung. Man brauchte ihm nicht zu sagen, dass Sir Joseph der Naturforscher auf Kapitän Cooks erster Reise gewesen war oder dass er der Präsident der Royal Society und als solcher Herr über ein veritables Imperium wissenschaftlicher Institutionen war.
Fitcher empfand so tiefe Verehrung für den Kurator, dass seine erste Begegnung mit ihm zunächst einen ungünstigen Verlauf nahm. Sir Joseph war ein vollendeter Gentleman, wie man nur je einen gesehen hatte, und stets untadelig gekleidet, von den gepuderten Locken seiner Perücke bis zu den polierten Schuhspitzen. Als Fitcher zum ersten Mal vor ihn trat, wurde ihm schlagartig bewusst, wie sehr seine eigene Erscheinung zu wünschen übrig ließ. Die Flicken auf seiner Jacke fielen plötzlich allzu sehr auf, desgleichen die akute Akne, die seine Schiffskameraden veranlasst hatte, sein Gesicht mit einem Topf brodelnder Hafergrütze zu vergleichen. Er war schon unter normalen Umständen ein schüchterner Mensch, und in Momenten des Unbehagens wurde seine Zunge so schwer, dass sogar seine Geschwister immer gescherzt hatten, er könne weder piep noch papp sagen, ohne dass es schrecklich plump klinge.
Doch Fitcher hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Sir Joseph erriet sofort, dass er aus Cornwall stammte, und
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