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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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in Lintin.« Als er Nils fragende Miene sah, sagte er: »Schau hier, ich zeig … «
    Mit seinen Stäbchen zerlegte Ah Fatt fachgerecht ein Stück Hühnerfleisch und zog das Gabelbein heraus. Er legte es auf die Planke und zeigte auf den Winkel. »Das Mündung von Perlfluss, was führt nach Kanton.« Dann nahm er mit seinen Stäbchen ein paar Körner Reis aus seiner Schale und verstreute sie zwischen den beiden Schenkeln des Knochens. »Das wie Inseln – hat viele hier, wie Zähne, die aus Meer steigen. Zähne sehr nützlich für Pirat. Auch für ausländisch Kaufmann, wie Vater. Weil ausländisch Schiff kann nix bringen Opium nach China. Sie fahren hier« – seine Stäbchen zeigten auf ein Reiskorn, das in der Mitte zwischen den beiden Knochen lag – »nach Lintin-Insel. Da sie verkaufen Opium. Wenn Preis gemacht, Händler schicken Boot, schnell Boot, mit dreißig Ruder.« Ah Fatt lachte, und seine Stäbchen blitzten auf, als er das Gabelbein ins Wasser warf. »So ich fahr nach Lintin, in Schnellruder.«
    »Warum. Was hast du da gemacht?«
    »Was du mein? Kauf Opium.«
    »Für wen?«
    »Mein Chef – er groß Opiumverkäufer, hat viele Schnellruderer, viel leng, die arbeit für ihn, viel hing-dai. Wir ein einzig groß gaa, und er ist unser daaihgodaaih, Groß-Bruder-Groß, unser Boss, für unser Familie. Wir ihn nenn Dai Lou. Er ist Kanton-Mann, aber er reist überall, sogar London. Er lang dort bleibt und dann komm heim und gründ Firma, in Macao. Er viel hat wie ich, arbeiten für ihn, er gern heuert Leut wie ich.«
    »Was meinst du mit ›Leute wie ich‹?«
    »Jaahp-júng-jai – ›Mischsorte Junge‹.« Ah Fatt lachte. »Viele an Perlfluss – in Macao, Whampoa, Guangzhou. In jede Hafen, jede Ort, wo Mann kann kaufen Frau, gibt viel yeh-hai und ›West-Ozean-Kind‹. Auch die müssen essen und leben. Dai Lou uns gibt Arbeit, uns behandelt gut. Langzeit er wie richtiger Altbruder zu mir. Aber dann wir haben Ärger. Deswegen ich muss verlassen Kanton, weglaufen. Kannix zurück.«
    »Was ist passiert?«
    »Dai Lou, er hat Frau. Nicht Ehe, aber … wie sagt?«
    »Konkubine?«
    »Ja. Konkubine. Sie sehr schön. Name Adelina.«
    »War sie Europäerin?«
    »Nein. Adelie auch ›Salzgarnel-Essen‹, wie ich. Sie auch halb Chini, halb Achha.«
    »Achha? Was meinst du damit?«
    »›Achha‹ – was Kanton-Leute euch nennen. Ihr Hindustani – dort ihr alle ›Achha‹.«
    »Aber ›achha‹ bedeutet doch nur einfach ›gut‹. Oder ›in Ordnung‹.«
    Ah Fatt musste lachen. »Ist umgekehrt in Kanton-Sprach. Ah-chaa bedeuten ›schlecht Mann‹. Also ihr Achha für mich und Ah-chaa für sie.«
    Auch Nil musste lachen. »Deine Adelie war also halb Achha? Woher war sie?«
    »Mutter aus Goa, aber lebt in Macao. Vater Chinese, aus Kanton. Adelie sehr schön, sie auch gern raucht Opium. Wenn Dai Lou reist, er mir sag aufpassen. Manchmal sie will, ich rauch Opium mit ihr. Wir beide Halb-Achha, aber nie seh Indien. Wir sprech über Indien, über ihr Mutter, über mein Vater. Und dann … «
    »Seid ihr ein Liebespaar geworden?«
    »Ja. Wir beide geworden din-din-dak-dak. Verrückt.«
    »Und dein Chef hat es rausgekriegt?«
    Ah Fatt nickte.
    »Was hat er getan?«
    »Was du mein?« Ah Fatt zuckte die Achseln. »Wie Land Gesetz hat, so gaa hat Regel. Ich weiß Dai Lou mich will umbringen, also ich mich versteck bei Mutter. Dann ich hör hing-dai mich komm holen, also ich lauf weg. Nach Macao, ich sag, ich bin Christ. Ich versteck in Seminar von Priester. Dann er schick mich nach Serampore, in Bengal.«
    »Und Adelie?«
    Ah Fatt sah ihm in die Augen und zeigte dann mit seinen Essstäbchen auf das schlammige Flusswasser.
    »Sie hat sich umgebracht?«
    Er antwortete mit einem kaum merklichen Nicken.
    »Aber das ist doch alles Vergangenheit, Ah Fatt. Würdest du nicht gern irgendwann mal nach Kanton zurückkehren?«
    »Nein. Kannix zurück, auch wenn Mutter ist dort. Dai Lou hat Auge überall. Kannix zurück.«
    »Und dein Vater? Warum gehst du nicht zu ihm?«
    »Nein.« Ah Fatt knallte seine Tasse auf den Tisch. »Nein. Nix will sehen Vater.«
    »Warum nicht?«
    »Letzte Mal ich seh, ich bitt, mich mitnehm nach Indien. Ich will weg. Weg von Chin-gwok, weg von Kanton. Ich weiß, wenn bleib, was passiert mit mir und Adelie. Und ich auch weiß, Dai Lou kann find und dann er kann tun alles, mir und ihr. Also ich geh zu Vater ein Tag. Ich bitt, mich mitnehm nach Indien, auf Anahita. Aber er sag: Nein, nein, Freddy, kannix geh.

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