Der rauchblaue Fluss (German Edition)
fehlgeschlagen seien, habe er, Sir Joseph, vor zwei Jahren beschlossen, einen gut ausgebildeten Gärtner nach Kanton zu schicken. Dafür sei einer der Vorarbeiter in Kew ausersehen worden, ein junger Schotte namens William Kerr. Der gute Mann habe seine Sache eine Zeit lang recht ordentlich gemacht, sei aber in letzter Zeit unruhig geworden. Er habe ihm brieflich mitgeteilt, er wolle nächsten Sommer auf die Philippinen reisen, und ihn gebeten, einen Mann zu schicken, dem zuzutrauen sei, dass er die Sammlung, die er in Kanton zusammengetragen habe, wohlbehalten nach England bringe.
»Nun, mein Lieber, was sagen Sie dazu?«, fragte Sir Joseph. »Hätten Sie Lust, mit einem solchen Auftrag in See zu gehen? Wenn ja, werde ich Ihnen einen Platz auf einem Kompanie-Schiff reservieren lassen, das nächste Woche nach Kanton ausläuft.«
Fitcher hatte den Auftrag angenommen, und obwohl seine Abreise und seine Ankunft in Kanton sich stark verzögerten, waren die Ergebnisse seiner Reise letzten Endes so erfreulich, dass der mächtige Kurator ihn fortan protegierte. Einige Jahre darauf wurde er erneut nach China geschickt, doch diesmal nicht als Bote, sondern als Nachfolger von William Kerr. Diese zweite Reise begründete seinen Ruf unter Botanikern und Gartenbauexperten, denn nach zwei Jahren in Macao und Kanton war es ihm gelungen, viele neue Pflanzen nach England zu bringen. Er hatte darauf geachtet, nur Sorten auszuwählen, die sich in Großbritannien als widerstandsfähig erweisen würden, und mehrere seiner Importe waren rasch in englischen Gärten heimisch geworden: Zwei Glyzinien, eine verführerische neue Lilie, ein schöner Azaleenbusch, eine ungewöhnliche Primel, eine leuchtende Kamelie und vieles andere mehr.
»In Kanton haben schon viele den Grundstein zu ihrem Glück gelegt«, sagte Fitcher, »und ich war einer von ihnen.«
»Und wie ist es dort so, Sir?«, wollte Paulette wissen. »Sind dort überall Gärten?«
Fitcher lachte, was nur selten vorkam. »Aber nein, ganz und gar nicht – es ist die betriebsamste, überfüllteste Stadt, die ich kenne. Auch die größte, noch größer als London. Ein Meer von Häusern und Booten, und die Pflanzen sind überall dort, wo man sie nie vermuten würde. Sie wachsen auf dem Dach eines Sampans, hängen über eine alte Mauer oder von einem überdachten Balkon herab. Durch die Straßen werden mit Topfblumen beladene Karren geschoben; auf dem Fluss gibt es Sampans, auf denen nur Pflanzen verkauft werden. An Fest- und Feiertagen steht plötzlich die ganze Stadt in Blüte, und Blumenhändler verhökern ihre Ware zu Preisen, bei denen ein englischer Baumschulgärtner vor Neid erblassen würde. Ich selbst habe mal gesehen, wie eine Bootsladung Orchideen innerhalb einer Stunde verkauft wurde, und das zu hundert Silberdollar pro Pflanze.«
»Ach, wie gern möchte ich das sehen, Sir!«
Fitcher runzelte die Stirn. »Aber das wird nicht möglich sein.«
»Nein? Warum denn nicht?«
»Weil europäische Frauen in Kanton keinen Zutritt haben. Das ist Gesetz.«
»Aber Sir«, rief Paulette bestürzt, »wie ist denn das möglich? Was ist mit all den Händlern, die dort leben? Haben sie nicht ihre Frauen bei sich? Und ihre Kinder?«
Fitcher schüttelte den Kopf. »Nein. Ausländerinnen dürfen nur bis Macao; dort müssen sie bleiben.«
Dass sie nicht nach Kanton würde reisen können, war eine bittere Enttäuschung. Es war, als sei ein Flammenschwert vom Himmel herabgekommen, um sie aus dem Paradies zu vertreiben, es ihr für alle Zeiten zu verwehren, sich in die Annalen der botanischen Forschung einzutragen.
Ihr Augen füllten sich mit Tränen. »Aber Sir! Wenn ich nicht mit Ihnen nach Kanton segeln kann, wo soll ich dann bleiben?«
»Viele ehrbare englische Familien in Macao nehmen Pensionsgäste auf. Es wird sich jeweils nur um ein bis zwei Wochen handeln.«
Paulette hatte sich vorgestellt, dass sie in der Wildnis Pflanzen sammeln würde. Um diese Chance betrogen, brach sie nun in Tränen aus. »Aber Sir, dann entgeht mir ja das Beste.«
»Bitte nehmen Sie es nicht so schwer, Miss Paulette. Vor der Küste liegen viele Inseln, dort werden Sie ein wenig sammeln können. Es gibt keinen Grund, so verärgert zu sein. Schauen Sie, ich zeige Ihnen … «
Auf einer Karte von der südchinesischen Küste zeigte Fitcher auf die weite Mündung des Perlflusses und die darin verstreuten vielen Hundert Inselchen. An der westlichen Küste lag die portugiesische Ansiedlung Macao. Hier mussten
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