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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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unterziehen – der gesamten Prozedur, was immer nötig ist.«
    In den folgenden Monaten hatte er die Stärkungsmittel des Sadhus getrunken, die Salben aufgetragen, gezahlt, was von ihm verlangt wurde, und auf die vorgeschriebenen Arten und genau zu den vorgeschriebenen Zeiten den Beischlaf mit Shirinbai vollzogen. Die Mühe war nicht ganz vergeblich gewesen, denn Shirinbai hatte seither nie wieder über ihren Wunsch nach einem Sohn gesprochen, doch andererseits hatte der ausbleibende Heilerfolg ihre düsteren Ahnungen offenbar nur bestätigt. Sie glaubte jetzt noch glühender als zuvor an Omen und Vorzeichen aller Art.
    Nie waren Shirinbais Ängste akuter als zu den Zeiten, wenn Bahram zum Aufbruch nach Südchina rüstete. In den Wochen vor der Abreise ging sie täglich in den Feuertempel und verbrachte viele Stunden bei den Dasturs. Tag und Stunde von Bahrams Abreise wurden von ihren Astrologen festgesetzt, und da er sich weigerte, Wahrsager zu konsultieren, suchte Shirinbai sie selbst auf und gab Prophezeiungen aller Art in Auftrag. Wenn am Vorabend eine Eule rief, bestand Shirinbai darauf, die Abreise zu verschieben. Am Morgen arrangierte sie dann den ganzen Haushalt dergestalt um, dass Bahram ein sorgsam aufgebautes Labyrinth günstiger Vorzeichen durchlaufen musste. Auf der Treppe erschien eine Hausangestellte mit einem Wasserkrug auf dem Kopf, die Gärtner mussten sich scheinbar zufällig, jedoch mit den richtigen Früchten und Blumen auf den Armen, im Garten verteilen, und wenn Bahram im Begriff stand, in seine Kutsche zu steigen, tauchte wie aus dem Nichts ein Fischer auf, gerade rechtzeitig, um ihn seinen Fang sehen zu lassen. Shirinbai legte sogar die Route zum Hafen fest und plante sie so, dass Bahram nicht an den Wäschern in Dhobi-Talao vorbeikam, denn Wäscher mit schmutziger Wäsche auf dem Arm waren unter allen Umständen zu meiden.
    Doch selbst in den schlimmsten Zeiten waren Shirinbais abergläubische Vorkehrungen kaum mehr als lästige Randerscheinungen gewesen. Jedenfalls hatten sie niemals ernsthafte Hindernisse für Bahrams Unternehmungen dargestellt. In diesem Jahr jedoch ließ sie nichts unversucht, ihn an der Abreise zu hindern. »Fahr nicht«, flehte sie ihn an. »Fahr nicht, nicht dieses Jahr. Alle sagen, dass es Ungemach geben wird.«
    »Was genau sagen sie denn?«, fragte Bahram.
    »Es wird sehr viel geredet. Vor allem über diesen britischen Admiral, der mit seinen Kriegsschiffen hier war.«
    »Admiral Maitland?«
    »Ja«, sagte sie. »Den meine ich. Man munkelt, in China könnte es zu Kämpfen kommen.«
    Wie die Dinge lagen, wusste Bahram durchaus Bescheid über Admiral Maitland und seine Mission. Er war einer der wenigen Kaufleute in Bombay, die zu einem Empfang auf Maitlands Flaggschiff, der Algerine , eingeladen worden waren, und er wusste, dass die Flotte unter Maitlands Kommando nur als Machtdemonstration nach China geschickt wurde.
    »Hör zu, Shirinbai«, sagte er. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es ist meine Aufgabe, immer über die neuesten Entwicklungen informiert zu sein.«
    »Aber ich gebe doch nur weiter, was meine Brüder sagen«, protestierte Shirinbai. »Sie sagen, China wird die Opiumeinfuhr verbieten, und das kann zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Sie sagen, du solltest jetzt nicht abreisen. Das Risiko ist zu groß.«
    Das ging Bahram gegen den Strich. »Arré, Shirinbai, was wissen deine Brüder denn darüber? Die sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und mich meine Arbeit tun lassen. Wenn sie so lange Geschäfte in China gemacht hätten wie ich, wüssten sie, dass es schon oft Kriegsgerüchte gegeben und nichts davon sich bewahrheitet hat. Und so wird es auch diesmal kommen. Wäre dein Vater noch am Leben, er würde mir den Rücken stärken. Aber das Sprichwort hatschon recht: Wenn der Weise geht, bricht alles zusammen … «
    Nachdem sie mit ihrer Taktik nichts erreicht hatte, gestand Shirinbai, dass ihre Besorgnis auch noch andere Gründe hatte. Einer ihre Astrologen hatte erklärt, die Sterne stünden zur Zeit so, dass allen Reisenden Gefahr drohe, ein Wahrsager habe Vorzeichen von Krieg und Unruhen gesehen, und ein Weiser, dem sie vertraute, habe sie vor Unheil auf hoher See gewarnt. In dem festen Glauben, dass ihr Mann in Gefahr sei, hatte Shirinbai ihre Töchter – die inzwischen beide verheiratet und mit mehreren Kindern gesegnet waren – gebeten, ebenfalls in ihrem Sinn auf ihn einzuwirken. Als Zugeständnis erklärte

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