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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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… !«
    Ah Fatt erstarrte, und das Blut wich aus seinem Gesicht. Er ging weiter, ohne sich umzuschauen, und stieß Nil an, damit er Schritt hielt. Dann sagte er leise: »Schau, wer ist. Wie sieht aus?«
    Nil blickte zurück und sah einen dickbäuchigen Mann in makelloser europäischer Kleidung. Das Gesicht unter dem Hut war sehr dunkel, die hervortretenden Augen weiß. Mit einem Armvoll erstandener Kleider lief er den beiden Männern nach.
    »Wie sieht aus?«
    Bevor Nil etwas sagen konnte, erschallte die Stimme abermals: »Freddy! Arré Freddy, du nichtsnutziger alter Saftsack! Ich bin’s, Vico!«
    Aus dem Mundwinkel zischte Ah Fatt Nil zu: »Geh weiter! Nix bleib steh. Wir später reden.«
    Nil nickte und blieb erst stehen, als er ein ganzes Stück entfernt war. Im Schutz eines Marktstandes drehte er sich um und beobachtete die beiden Männer.
    Auch aus dieser Entfernung war zu erkennen, dass Vico Ah Fatt zu etwas überreden wollte, der jedoch abwehrend reagierte. Nach einer Weile schien er aber einzulenken, und Vico umarmte ihn sichtlich erleichtert, bevor er sich eilends Richtung Fluss entfernte.
    Nil wartete eine Weile, bevor er Ah Fatt abfing. »Wer war das?«
    »Zahlmeister von Vater, Vico. Ich erzähl von ihm, nein?«
    »Was hat er gesagt?«
    »Er sagt, Vater krank. Er mich will sehen. Soll gehen hin.«
    »Und du hast zugesagt?«
    »Ja«, erwiderte Ah Fatt auf seine lakonische Art. »Ich geh Schiff. Heute später. Er schickt Boot mich holen.«
    Aus ihm selbst unerfindlichen Gründen war Nil zutiefst beunruhigt über Ah Fatts Vorhaben. »Aber darüber müssen wir noch reden, Ah Fatt«, sagte er. »Was willst du deinem Vater sagen? Wenn er dich fragt, wo du die letzten Jahre gewesen bist, was willst du dann sagen?«
    »Nix«, sagte Ah Fatt. »Werd nix sagen. Werd sagen, ich vor drei Jahre geh auf Schiff und weg aus China. Auf See ganze Zeit.«
    »Aber was ist, wenn er herausfindet, dass du in Indien warst? Und von deiner Gefängnisstrafe und all dem erfährt?«
    »Unmöglich«, sagte Ah Fatt. »Er kannix! Wenn weg von Kanton, ich immer annehm ander Namen. In Gefängnis nur mein Körper, kein richtig Name, nix. Nix was kann verraten.«
    »Und dann? Was ist, wenn er will, dass du bei ihm bleibst?«
    Ah Fatt schüttelte den Kopf. »Nein. Er nix wird wollen ich bei ihm. Er zu viel Angst, älter Frau kriegt raus. Von mir.«
    Dann hatte Ah Fatt einen seiner seltenen Momente fast unheimlicher Klarsichtigkeit. Er legte Nil den Arm um die Schultern und sagte: »Du Angst ich dich lass allein, hm, Nil? Kein Angst. Du mein Freund, nein? Kannix hier dich lass allein.«
    Nachdem Ah Fatt am Abend zur Anahita aufgebrochen war, ging Nil wieder zu dem Küchenboot und wartete. Nach mehreren Stunden begann er zu bezweifeln, dass Ah Fatt noch an diesem Abend zurückkommen würde, und ärgerte sich immer mehr über sich selbst. Warum glaubte er, seine eigene Zukunft hänge davon ab, wie Ah Fatts Treffen mit seinem Vater verlief? Wenn sich ihre Wege trennten, musste er sehen, wie er allein zurechtkam, das war alles. Er stand auf und begab sich nach achtern, in das überdachte »Haus« im Heck des Küchenboots. Dort hatte er die letzten beiden Nächte verbracht. Er streckte sich aus und schlief fast auf der Stelle ein.
    Ein paar Stunden später wachte er auf, weil er sich dringend erleichtern musste. Er öffnete die Tür und sah, dass der Fluss im Mondschein glänzte. Hinterher, als er wieder in die Kabine zurückging, schweifte sein Blick kurz zum Bug des Bootes, und jetzt sah er dort zwei Gestalten sitzen.
    Augenblicklich war er hellwach. Leise ging er nach vorn, bis er nur noch zwei Meter von den beiden Gestalten entfernt war. Sie lehnten an dem mondbeschienenen Schanzkleid. Die eine war Ah Fatt, und die andere war die junge Köchin.
    »Ah Fatt?«
    Als Antwort kam nur ein unterdrücktes Grunzen.
    Er trat noch näher und sah, dass Ah Fatt eine Pfeife in der Hand hielt.
    »Was machst du da, Ah Fatt?«
    »Rauchen.«
    »Opium?«
    Ah Fatt legte ganz langsam den Kopf zurück. Sein Gesicht war blass im Mondlicht, und er hatte einen Blick in den Augen, den Nil noch nie an ihm gesehen hatte, verhalten und träumerisch, aber nicht schläfrig. »Ja, Opium«, sagte er leise. »Vico mir was geb.«
    »Sei vorsichtig, Ah Fatt – du weißt, was das Opium mit dir anstellt.«
    Ah Fatt zuckte die Achseln. »Sehnsucht mich packt heute Abend. Muss rauchen Pfeife, muss heute Abend.«
    »Warum?«
    »Vater mir was sagen.«
    »Was?«
    Nach einer Pause

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