Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Wochen- und Jahrmärkten im Umland von Dörfern überall in der Welt. Er hatte die übliche Anzahl von fliegenden Händlern, Imbissverkäufern und Zuhältern aufzuweisen, aber die Kleiderstände waren die Hauptattraktion.
Bei den Seeleuten und Laskaren hieß der Basar »Wordy-Market«, was darauf hinwies, dass er früher einmal ein Markt für vardis – Soldatenuniformen – gewesen war. Derlei Kleidungsstücke konnte man hier noch immer finden. Sicherlich gab es nur wenige Orte auf der Welt, wo man eine Grenadiermütze gegen eine mongolische Mütze eintauschen konnte oder die Uniformjacke eines Infanterieoffiziers gegen eine Zuavenhose. Doch diese militärischen Artikel waren längst nicht mehr die einzigen Waren, die auf dem Markt angeboten wurden. In den zwei Jahrzehnten seines Bestehens hatte der Wordy-Market sich einen ungewöhnlichen Ruf erworben, nicht nur innerhalb Singapurs, sondern auch darüber hinaus. Auf den umliegenden Halbinseln und Inseln wie auch auf dem Festland wurde er einfach »Pakaian Pasar« genannt – der »Kleidermarkt« –, und es war bekannt, dass man dort Kleidungsstücke aller Art kaufen konnte, von papuanischen Penisfutteralen bis hin zu Sulu-Röcken, von bengalischen Saris bis hin zu Bagobo-Hosen. Gut betuchte Besucher der Insel mochten lieber in den europäischen und chinesischen Geschäften rings um den Commercial Square einkaufen, aber für diejenigen, deren Mittel begrenzt waren – oder die gar kein Geld hatten und nur Fisch oder Geflügel zum Tausch anbieten konnten – , war dieser Markt, der auf keiner Landkarte verzeichnet und keiner Behörde bekannt war, der richtige Ort, denn wo sonst konnte eine Frau einen Khmer-Sampot gegen eine Bilaan-Jacke tauschen? Wo sonst konnte ein Fischer einen Sarong für eine Uniformjacke oder einen spitzen Regenhut für eine balinesische Mütze eintauschen? Wo sonst konnte ein Mann nur mit einem Lendenschurz bekleidet erscheinen und in einem Fischbeinkorsett und seidenen Hausschuhen wieder gehen?
Manche dieser Kleidungsstücke stammten von den mittellosen Pilgern, Missionaren, Soldaten und Reisenden, die hier durchkamen. Viele waren jedoch in irgendwelchen fernen Winkeln des Indischen Ozeans gestohlen, geraubt oder von Piraten erbeutet worden, denn unter denen, die regelmäßig diese Gewässer befuhren, war wohlbekannt, dass es keinen besseren Ort als den Wordy-Market gab, um gestohlene Kleider loszuschlagen. Mehr noch als auf anderen Basaren war der Käufer hier gut beraten, die Waren gründlich zu prüfen, denn viele waren von Blutflecken, Einschusslöchern, Schlitzen von Dolchen oder anderweitigen Mängeln verschandelt. Besondere Vorsicht war bei prachtvolleren Kleidungsstücken geboten, denn viele davon stammten aus Grüften und Gräbern, und bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass Würmer sie angenagt hatten. Doch die möglichen Vorteile machten die Risiken mehr als wett. Wo sonst konnte ein Deserteur seinen Dreispitz und seinen Ringkragen gegen einen englischen Anzug eintauschen? Dass ein solcher Markt nicht ewig bestehen würde, lag auf der Hand, doch solange es ihn gab, war der Wordy-Market für alle, die ihn aufsuchten, ein Geschenk des Himmels.
Ein Kalinga-Bootsmann, der im Kampong Chulia wohnte, hatte Nil von dem Kleiderbasar erzählt. Das war eine willkommene Neuigkeit, denn er und Ah Fatt waren in den Kleidern angekommen, die sie auf den äußeren Inseln hatten auftreiben können – Hosen, Westen und ein paar fadenscheinige Sarongs. Diese schmuddeligen Sachen mussten sie so bald wie möglich loswerden, wenn sie nicht auffallen wollten, aber ihre Barschaft war inzwischen arg geschrumpft, und die Angebote der Geschäfte in der Stadt überstiegen ihre Möglichkeiten bei Weitem.
Der Wordy-Market war in ihrer misslichen Lage die Patentlösung. Als Erstes kauften sie sich Kleidersäcke und füllten sie nach und nach, während sie von Stand zu Stand gingen und in einer Mischung aus mehreren Sprachen feilschten. Nil kaufte sich einen Rock im europäischen Stil und mehrere Hosen, enge und weite, ein paar sirbands und Tücher, die als Turbane dienen sollten, und drei oder vier leichte Baumwoll-angarkhas. Ah Fatt stellte sich eine ähnlich bunte Mischung zusammen: einen Paletot, mehrere Hemden und Hosen, Tuniken in Schwarz und Weiß und zwei chinesische Gewänder.
Sie wollten gerade zu den Schuhständen, als von hinten eine Stimme ertönte, so laut, dass sie auch in dem Heidenlärm nicht zu überhören war. »Freddy! Alter Saftsack
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