Der Rauchsalon
muß Sie jetzt leider allein
lassen, aber mir kocht das Essen schon über.«
»Macht doch nichts. Wohin soll ich den
Teller stellen?«
»Am besten einfach hier auf den Stuhl.«
Sarah befand sich bereits wieder auf
der Treppe, als sie dies sagte, denn das Essen war tatsächlich in Gefahr, und
ihr Budget war so schmal, daß sie sich keine Katastrophe erlauben konnte.
Alexander würde sicher stolz auf sie sein, wenn er sehen könnte, wie sie sich
durchschlug. Ihr lieber, guter Alexander! Warum fiel er ihr bloß gerade in
diesem hektischen Moment ein? Etwa, weil sie sich ein winziges kleines bißchen
untreu vorkam, weil sie so erleichtert war, daß Mr. Bittersohn dabei war, sie
wieder einmal zu retten?
Kapitel
6
M r. Bittersohn, wie nett, Sie zu sehen.«
Sarahs Begrüßung mochte zwar
konventionell klingen, aber in ihrer Stimme schwang ein Hauch von Wärme, den
Cousine Mabel wahrscheinlich für höchst übertrieben halten würde. Aber wie
Cousin Dolph bereits treffend bemerkt hatte, wer scherte sich schon um Cousine
Mabel? Darüber hinaus war Mabel schließlich nicht anwesend. Es wurde Sarah mit
einem Mal siedendheiß bewußt, daß sie ihrem Gast fast allzu deutlich gemacht
hatte, daß außer ihnen beiden niemand anwesend sein würde. Ihre Wangen waren
rosiger, als sie es während der letzten Wochen gewesen waren, und sie
schüttelte seine kantige, warme Hand.
»Ich hatte schon die ganze Zeit vor,
Ihnen einen kleinen Dankesgruß zu schicken für alles, was Sie für mich getan
haben — «
»Nachdem Sie immerhin meinen Fall
gelöst hatten?« Sein Lächeln war genauso angenehm, wie sie es in Erinnerung
hatte, man sah dabei seine Zähne nicht, nur die Lippen, die ungewöhnlich gut
geschnitten waren, bogen sich amüsiert nach oben. Mr. Bittersohn war nicht so
gutaussehend wie der verstorbene Alexander Kelling, kein Mann konnte das sein,
aber sein etwas herbes Gesicht war trotzdem sehr attraktiv. Sarah bemerkte mit
innerer Belustigung, daß seine üppigen dunkelbraunen Wellen an den Stellen, an
denen er versucht hatte, sie zu bändigen, eigensinnig hochstanden, und sie konnte
immer noch nicht genau feststellen, ob seine Augen nun grau oder blau waren.
»Das habe ich doch gar nicht«,
protestierte sie. »Kommen Sie mit in die Bibliothek. Was möchten Sie gern
trinken? Den Whiskey stelle ich nie heraus, wenn meine Pensionsgäste hier sind,
aus lauter Angst, sie könnten alle auch welchen wollen. Wie der Mann aus dem
Limerick, der in Crewe aß und eine große Maus in seinem Essen fand, wozu der
Ober meinte, die anderen Gäste würden zweifellos auch eine Maus im Essen
wollen, wenn das bekannt würde.«
Sie redete einfach so daher, nur, um
etwas zu sagen, und sie war sich dessen bewußt, aber was sollte man auch zu
einem Mann sagen, der einem das Leben gerettet hatte und dessen Belohnung dann
darin bestanden hatte, Miss Smith und ihre Tragetaschen in ihr schlecht
beleumundetes Viertel zu bringen, und das alles derartig kurzfristig? »Sie
mögen Ihren Scotch mit etwas Zitronenschale und viel Eis, nicht wahr?«
»Wunderbar.« Er schien auch nicht genau
zu wissen, was er sagen sollte.
»Mein Onkel Jem hat mir beigebracht,
Drinks zu mixen, als ich sechs Jahre alt war, ich bin also ganz gut. Schmeckt
er Ihnen so?«
Bittersohn nippte an seinem Glas.
»Perfekt. Wollen Sie nicht etwas mittrinken?«
»Sicher werde ich das.«
Sarah goß sich einen kleineren Drink
ein und fügte Wasser hinzu. »Wissen Sie, als Miss Smith mir gestern erzählte,
was wirklich passiert ist, war ich so schockiert, daß ich überhaupt nicht mehr
klar denken konnte. Dann mußte ich das Abendessen machen, und Onkel Jem kam
auch noch und wollte überhaupt nicht mehr gehen, wie immer, wenn er sich
endlich einmal aufgerafft hat zu kommen. Natürlich wollten alle mehr Anekdoten
hören, denn er ist wirklich ein phantastischer Geschichtenerzähler, wenn man
auch nicht alles gutheißen kann, was er erzählt. Also hat es gestern
schrecklich lange gedauert, und ich bin sehr spät ins Bett gekommen und sofort
eingeschlafen. Und heute morgen mußte ich natürlich Frühstück machen, und daher
hatte ich, ehrlich gesagt, bis eben überhaupt keine Zeit, über all das nachzudenken,
was sie mir gestern erzählt hat. Meinen Sie, daß es wirklich stimmen könnte?«
»Möglicherweise — nur habe ich keine
Ahnung, wovon Sie überhaupt sprechen.«
»Hat sie Ihnen denn nichts erzählt?«
»Miss Smith hat mir eine Menge über
ihre
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