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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Und
sie hat darauf bestanden, selbst für die U-Bahn zu zahlen. Ich war in
Versuchung, sie zum Essen und zu einem Kinobesuch einzuladen, aber ich dachte,
da wir uns gerade erst kennengelernt hatten, wäre es wohl etwas unpassend. Miss
Smith sieht aus, als ob sie viel Wert auf gute Manieren legen würde.«
    »Ich glaube, da irren Sie sich
gewaltig«, sagte Sarah. »Bestimmt hätte sie auf der Stelle angenommen. Sie hat
mir selbst erzählt, daß sie diesen Unsinn mit falschem Stolz und dergleichen
längst hinter sich gelassen hat. Ich übrigens auch, deshalb war ich auch so
dreist, Sie anzurufen. Ich wußte einfach nicht, wen ich sonst hätte fragen
können, und ich wollte sie nicht so allein losschicken. Ich denke außerdem, daß
sie völlig klar im Kopf ist. Als sie mir ihre Geschichte erzählte, konnte ich
das Risiko nicht eingehen, ihr nicht zu glauben.«
    Sarah nippte an ihrem Scotch. »Tut mir
leid. Ich dachte, es wäre so einfach, darüber zu reden, aber es ist — ich bin
diese ganzen schrecklichen Dinge einfach so leid!«
    »Schon in Ordnung, Mrs. Kelling. Nehmen
Sie sich Zeit. Ich glaube, ich kann es schon erraten. Wenn ich die
Zeitungsberichte und die U-Bahn-Geschichte richtig kombiniere: Gehe ich dann
recht in der Annahme, daß Miss Smiths Geschichte etwas mit diesem Mr. Quiffen
zu tun hat, der bei Ihnen gewohnt hat und gestern unter den Zug gefallen ist?«
    »Haben Sie sich jemals geirrt? Miss
Smith hat mir mitgeteilt, daß sie und Mr. Quiffen nebeneinander am Rand des
Bahnsteigs gestanden haben. Sie starrten sich mehr oder weniger wütend an, weil
er nicht gern neben jemandem stehen wollte, der — nun ja, Sie haben sie ja
gestern abend selbst gesehen — und sie nahm es nicht besonders gut auf, als
eine Art wandelnde Pestilenz angesehen zu werden. Wer täte das schon!«
    »War er so ein Mensch?«
    »Oh ja, das war typisch für ihn. Ein
paar alte Freunde, die der Ansicht waren, mir damit einen Riesengefallen zu
tun, haben ihn mir untergeschoben, doch ich habe sofort gewußt, daß es ein
großer Fehler war. Wenn er keine Ausrede hatte, sich scheußlich zu benehmen,
suchte er sich eine. Wenn ich ihn noch eine Woche länger hätte ertragen müssen,
wäre ich wohl selbst durchaus in Versuchung gewesen — ihm das anzutun, was Miss
Smith jemand anderen tun sah.«
    »Ihn unter die U-Bahn zu stoßen?«
    »Das behauptet sie jedenfalls. Sie
besteht darauf, daß sie genau gesehen hat, wie zwei Hände in braunen
Lederhandschuhen aus der Menschenmenge hervorkamen und ihn absichtlich auf die
Gleise stießen, gerade als der Zug aus dem Tunnel herauskam.«
    »Sonst hat sie nichts gesehen? Nur die
Hände?«
    »Die Hände und dann irgendwelche
dunklen Mantelärmel. Natürlich hat die Bahn nicht mehr stoppen können, als er
stürzte, und sie stand genau daneben, und um sie herum waren all die vielen
Menschen, die schoben und drängelten. Sie hatte Angst, daß sie auch unter den
Zug gestoßen würde. Sie wissen, wie schlimm es in der Hauptverkehrszeit sein
kann. Ich nehme an, daß der Täter, wer immer es auch war, einfach wieder in der
Menschenmenge verschwunden ist.«
    »Oder er hat sich umgedreht und die
hinter ihm Stehenden angebrüllt: ›Drängeln Sie doch nicht so!‹, so daß er
behaupten konnte, er habe es nicht absichtlich getan, für den Fall, daß ihn
jemand beobachtet hatte. Was allerdings ziemlich unwahrscheinlich ist. Die
Leute konzentrieren sich auf die Bahn oder passen vielleicht aus Angst vor
Taschendieben auf ihre Handtaschen und Brieftaschen auf oder versuchen zu
verhindern, daß ihnen die Aktentaschen und Pakete aus der Hand geschlagen
werden. Nicht einmal die schlechteste Methode, jemanden loszuwerden, wenn man
die Nerven dazu hat. Man gibt ihm einfach einen Schubs, läßt sich von der Menge
verschlucken, tritt zurück und nimmt dann den ersten besten Zug in die
entgegengesetzte Richtung. Und ist weg, bevor irgend jemand gemerkt hat, was passiert
ist. Hat Miss Smith jemandem gemeldet, was sie gesehen hat?«
    »Sie hat es versucht, so gut sie
konnte. Ich nehme an, sie hat einen ganz schönen Wirbel veranstaltet. Sie
behauptet, sie habe dem Fahrdienstleiter und dem Schaffner Bescheid gesagt, außerdem
der Polizei und sogar ein paar Reportern, aber keiner wollte ihr zuhören.
Deshalb ist sie schließlich zu mir gekommen. Sie hat zufällig eine Zeitung
gefunden, in der diese Geschichten mit »Neues Unglück in der Tulip Street« mit
meinem Namen und meinem Foto standen. Das hielt sie für einen Fingerzeig

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