Der Rauchsalon
mich einschenken. Hier, trinken Sie das. Mr. Bittersohn, sind
Sie so nett und halten ihr die Tasse?«
Mr. Bittersohn war so nett. Sarah
nippte und verzog ihr Gesicht, obwohl sie wußte, daß Pensionswirtinnen
eigentlich nicht das Gesicht verziehen, und sagte, sie wolle lieber keinen
Zucker, vielen Dank. Mr. Bittersohn und Mrs. Sorpende drängten sie jedoch mit
vereinten Kräften, trotzdem zu trinken, da Zucker angeblich gut gegen Schock
sei.
Was möglicherweise sogar stimmte.
Jedenfalls nahm der Raum allmählich wieder klarere Konturen an. Sarah
versicherte sich, daß auch jeder mit Kaffee versorgt war, besonders Mariposa,
weil sie sich sonst möglicherweise eine Erkältung holen würde, obwohl sie sich
inzwischen in ein weites düsteres Gewand gehüllt hatte, das offenbar aus der
prähudsonianischen Phase von Charles stammte. Dann rief sie die Gesellschaft
zur Ordnung auf.
»Also, Sergeant McNaughton, wenn Sie
sicher sind, daß Ihnen nach Reden zumute ist, könnten Sie uns dann bitte
freundlicherweise mitteilen, was genau passiert ist? Wo haben Sie Mr. Hartler
gefunden?«
Sergeant McNaughton bog seinen
abgespreizten kleinen Finger zurück, räusperte sich und wurde wieder amtlich.
»Ich muß Sie daran erinnern, Mrs. Kelling, daß der Mann, den wir gefunden
haben, bisher noch nicht identifiziert worden ist. Wenn man allerdings
berücksichtigt, daß das Opfer Ihrer Beschreibung entspricht, persönliche
Papiere bei sich trug, daß sein Name in dem Hut stand, den man in der Nähe
gefunden hat, und auch in seinen Mantel und in sein Jackett eingestickt war und
mit Wäschetinte in seine Unterwäsche geschrieben war, dann-«
»Und er ist nicht hier, und sein Bett
ist unberührt«, soufflierte Charles sotto voce. »Wir haben ja
nachgesehen, erinnern Sie sich?«
»Ach ja, vielen Dank. Jedenfalls können
wir jetzt für die weitere Untersuchung davon ausgehen, daß er es ist. Die
Leiche wurde im Public Garden gefunden, direkt neben diesem hübschen Vogelhaus
unten am Teich in der Nähe der Arlington Street, bevor man zur Brücke kommt.
Der Streifenpolizist, der ihn gefunden hat, kam zu dem Schluß, daß man das
Opfer überfallen und beraubt hat. Dem Polizeibericht zufolge wurde er danach — wollen
Sie das wirklich alles hören?«
»Nein«, sagte Sarah, »nur das
Wesentliche. War Mr. Hartler schon — hatte man ihn bereits-«
»Viel toter hätte er kaum sein können,
Mrs. Kelling. Jemand muß ihn mit einem schweren Gegenstand mehrfach gegen die
Stirn und auf den Hinterkopf geschlagen haben. Es ist kaum anzunehmen, daß es
sich um etwas anderes als vorsätzlichen Mord gehandelt hat. Der pathologische
Bericht ist zwar noch nicht fertig, aber wir nehmen an, daß man ihn aus dem
Hinterhalt niedergeschlagen hat und dann — nun ja, Sie wollten ja keine
Einzelheiten hören.«
»Wann ist es passiert?« fragte
Bittersohn.
»Irgendwann gegen Mitternacht wahrscheinlich.
Jedenfalls nicht lange, bevor man ihn gefunden hat.«
»Dann war er vermutlich schon auf dem
Heimweg«, sagte Sarah.
»Zu Fuß? Sie sagten doch, er hatte
Probleme mit dem Herzen. Warum hat er sich dann kein anderes Taxi kommen
lassen?«
»Woher soll ich das wissen, Sergeant?
Vielleicht gab es dort, wo er war, kein Telefon. Vielleicht hatte er auch Lust,
zu Fuß zu gehen. Mr. Hartler war — sprunghaft. Würden Sie das nicht auch sagen,
Mrs. Sorpende?«
»Ganz bestimmt, das würde ich auch
sagen, obwohl ich ihn erst seit ein paar Tagen kenne«, pflichtete ihr die
ältere Frau mit ihrer wohlmodulierten, distinguierten Stimme bei. »Mr. Hartler
schien derart vertieft in sein Projekt zu sein, daß man beinahe schon von
Monomanie sprechen könnte. Wenn die Stühle tatsächlich jene kostbaren Stühle
waren, nach denen er gesucht hat, war er bestimmt so aufgeregt, daß er nicht
mehr gewußt hat, ob er ging oder flog. Ich muß zugeben, daß ich mich schon
gestern abend damit amüsiert habe, mir vorzustellen, wie er sich wohl benehmen
würde, wenn er zurückkäme. Ich habe mir vorgestellt, wie er durch das Haus
stürmen und uns alle aufwecken würde, um die frohe Botschaft zu verkünden, und
ich habe mir auch schon ausgemalt, wie die einzelnen Personen darauf reagieren
würden. Doch dann bin ich natürlich zu dem Schluß gekommen, daß unser
hervorragender Charles eine solche Störung sicher verhindert hätte.«
Das gutgeschnittene Gesicht des
hervorragenden Charles ließ lediglich einen winzigen Moment eine Andeutung von
Freude über das Lob erkennen. Mariposa
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