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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Kleidung, die weder einen bestimmten Stil noch
eine eindeutige Farbe aufwies. Das gleiche konnte man auch von der Trägerin
sagen. Miss Hartler hatte eine gewisse Familienähnlichkeit mit ihrem Bruder,
auch sie hatte dichtes weißes Haar, was ihr Aussehen hätte verbessern können,
wenn es nicht irgendein hoffnungsloser Abgänger von der Friseurfachschule viel
zu kurz geschoren und Miss Hartler nicht den traurigen Rest unter einem
wirklich abscheulichen Hut verborgen hätte. Momentan war ihr Gesichtsausdruck
lebhaft zu nennen.
    »Meine liebe kleine Sarah!«
    Zu Sarahs heimlichem Schrecken bestand
Miss Hartler darauf, ihr einen trockenlippigen Kuß auf die Wange zu geben. »Wie
betroffen mich der Tod Ihrer lieben Tante Caroline und ihres so liebevoll um
sie bemühten Sohnes gemacht hat, kann ich Ihnen gar nicht sagen! Und natürlich
auch der Tod von Frederick Kelling. Was für ein tragischer Verlust für die Stadt!
Ich hoffe, Sie haben meinen kleinen Brief bekommen?«
    »Also, ich — ja, natürlich. Es war
wirklich sehr nett von Ihnen, mir zu schreiben.«
    Sarah konnte sich partout nicht
erinnern, ob sie damals von den Hartlers gehört hatte oder nicht, denn so viele
Leute hatten Kondolenzbriefe geschickt. Aber sie hatte mit Tante Emilys Hilfe
allen gewissenhaft zurückgeschrieben oder hatte dies zumindest bisher
angenommen. »Ich bin sicher, daß ich Ihnen geantwortet habe, aber wenn Sie
gerade dabei waren, sich für Ihre Auslandsreise vorzubereiten — «
    »Ach je, ich nehme an, William hat den
Umschlag aufgemacht und Ihre Antwort weggeworfen, bevor ich sie gesehen habe.
Das wäre typisch für ihn. Der große Bruder glaubt nicht, daß sein kleines
Schwesterchen schon lesen gelernt hat, wissen Sie. Wo ist denn der gute alte
Wumps? Ich kann es kaum erwarten, ihn zu überraschen! Er erwartet mich
todsicher noch nicht so schnell, aber ich habe im wahrsten Sinne des Wortes auf
dem Flughafen kampiert, bis sie endlich einen Platz für mich gefunden hatten.
Hat er Ihnen gesagt, daß ich komme?«
    »Er hat mir erzählt, wie sehr er sie
vermißt«, versuchte Sarah Zeit zu gewinnen.
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen!
Wumps und ich haben uns schon immer ganz besonders nahe gestanden, wissen Sie.
Es war ein richtiges Wagnis für mich, ihn so allein zu lassen, und, wie sich
später herausgestellt hat, außerdem ein schrecklicher, ganz schrecklicher
Fehler. Aber ich will Sie jetzt nicht mit meiner abscheulichen Geschichte
langweilen! In welchem Zimmer wohnt Wumps? Ist er schon auf, der alte Faulpelz?
Vielleicht sollte ich mich auf Zehenspitzen zu ihm reinschleichen? Ich kann es
kaum abwarten, ich muß ihn unbedingt sofort sehen!«
    Sie stand auf und ging zur Tür. Sarah
faßte die alte Frau am Arm.
    »Miss Hartler, Sie — Sie sollten sich
besser wieder hinsetzen. Ich muß Ihnen etwas sagen.«
    »Etwas über Wumps? Was denn? Ist er
krank? Etwa im Krankenhaus?«
    Sarah schüttelte den Kopf. »Leider ist
es noch viel schlimmer, Miss Hartler. Er ist vorige Nacht mitten im Public Garden
— von jemandem erschlagen worden.«
    »Oh nein! Doch nicht Wumps!« Miss
Hartler starrte Sarah an und verbarg dann ihr Gesicht in dem mausgrauen Schal,
den sie sich um den verhutzelten Hals geschlungen hatte.
    »Er ist noch nicht identifiziert
worden, aber sein Name stand in allen Kleidungsstücken, und er ist gestern
nacht nicht nach Hause gekommen. Wir haben auf seinem Schreibtisch Ihren Brief
gefunden, und ich soll sofort die Polizei benachrichtigen, wenn Sie da sind — am
besten hole ich Ihnen einen Brandy.«
    »Nein, bitte nicht. Den könnte ich
jetzt nicht anrühren. Lassen Sie mich nur — nur einen Moment hier allein, ja?
Wumps soll tot sein? Meinen Sie wirklich tot, Sarah?«
    »Es tut mir sehr leid. Kommen Sie, ich
helfe Ihnen.«
    Miss Hartler brauchte wirklich dringend
Hilfe. Ihre Beine trugen sie kaum noch. Sie wankte über den Korridor, fiel auf
das Bett und preßte ihr Gesicht auf das saubere Bettuch, das Charles so schön
einladend für den alten Herrn aufgeschlagen hatte, der niemals zurückkehren
würde. Sarah entschied, daß es für die alte Dame das Beste wäre, wenn sie sich
leise hinausschlich und die Frau allein ließ, bis ihre mageren alten Schultern
aufgehört hatten, so krampfhaft zu zucken.
    Mariposa kam gerade vorbei, als Sarah
zurück auf den Flur trat. »Haben Sie es ihr gesagt?«
    »Das mußte ich doch, oder? Sie will in
seinem Zimmer allein sein, deswegen komme ich auch wieder heraus. Ich wüßte
auch nicht, was

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