Der Rauchsalon
versucht hat davonzulaufen.
Manche Leute machen einfach die Augen zu, wenn es um Dinge geht, die sie nicht
wahrhaben wollen.«
»Allerdings«, sagte Bittersohn. »Wie
wäre es, wenn Sie mich Ihrer ehemaligen Tante vorstellen würden?«
»Ja, aber warum denn?« Sarah verschlug
es den Atem.
»Ich möchte sie nur etwas fragen.«
»Und ich bin sicher, daß sie Sie auch
etwas fragen will. Zum Beispiel, ob Sie verheiratet sind, Bridge spielen und ob
Sie morgen abend zum Abendessen schon etwas vorhaben. Sie können sich gar nicht
vorstellen, auf was Sie sich da einlassen, Mr. Bittersohn. Tante Marguerite zu
treffen ist genauso schlimm, als wenn man einer Riesenkrake in einem Horrorfilm
vorgestellt wird.«
»Das Risiko muß ich eben auf mich
nehmen.«
»Ich habe Sie jedenfalls gewarnt.«
Sarah schlängelte sich mit ihm durch die Menschenmassen und brachte die
offizielle Vorstellung mit soviel Anstand hinter sich, wie sie aufbieten
konnte.
»Tante Marguerite, darf ich dir Mr.
Bittersohn vorstellen? Er hat das Zimmer im Souterrain. Du hast ihn noch nicht
kennengelernt, weil er eben gerade den Wagen geparkt hat. Er ist Kunstexperte.«
Sie wußte, daß die letzte Information
eigentlich überflüssig war. Es wäre Tante Marguerite genauso recht, wenn er
Fensterputzer wäre. Sarah wurde an den Rand gedrängt und von Iris Pendragon
abgefangen, die unbedingt wissen wollte, wo Sarah denn diesen göttlichen Mann
herhabe, so daß sie kein Wort von dem verstand, was er Tante Marguerite fragen
wollte. Der arme Mann, er ahnte ja gar nicht, welche wahren Fluten von
Einladungen er sich von dieser Horde gelangweilter Damen einhandeln würde. Aber
vielleicht traf er in seinem Beruf oft gelangweilte Damen. Vielleicht fand er
sie auch gar nicht so langweilig. Sarah wünschte sich, dieser Gedanke sei ihr
nicht in den Sinn gekommen.
Jedenfalls beherrschte er offenbar die
richtige Taktik für den Umgang mit diesem Problem. In erstaunlich kurzer Zeit
war es ihm nämlich gelungen, sich zu befreien und zwischen ihnen und die Ladies
aus Newport eine schützende Besucherwand zu ziehen.
»Mrs. Kelling, können Sie mir helfen,
unsere Passagiere einzusammeln? Ich möchte Sie alle gern nach Hause bringen und
mich dann wieder an meine Arbeit machen.«
»Ja, natürlich. Ich wußte ja nicht-«
Aber er hatte sie bereits verlassen und
ging auf Miss LaValliere zu, die sicher nicht eigens überredet zu werden
brauchte. Da sie schlank und klein war, konnte Sarah mühelos unter den Armen
und Ellbogen der Leute durchschlüpfen und erreichte so Mrs. Sorpende, die sich
besser als Rammbock eignen würde als sie. Diese Menschenmassen waren
grauenhaft. Und was, wenn sie alle morgen in ihrem Haus auftauchten?
Aber das würden sie sicher nicht.
Einige, wie etwa die Saxes, gehörten sicher zu den Leuten, die es als ihre
Pflicht betrachteten, sich hier zu zeigen, aber höchstwahrscheinlich zur Beerdigung
nicht erscheinen würden. Und zweifellos gab es auch Leute, die Mr. Hartler
überhaupt nicht gekannt hatten und sich nur keine Sensation entgehen lassen
wollten.
Die Zeitungen hatten den grausamen Mord
groß und breit ausgeschlachtet, aber nirgendwo hatte gestanden, daß es bereits
der zweite Mieter von Sarah Kelling war, der eines gewaltsamen Todes gestorben
war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Mr. Bittersohn und Sergeant
McNaughton das geschafft hatten, aber sie würde ihnen dafür ewig dankbar sein.
Zweifellos identifizierte man sie gerade als Vermieterin des Verstorbenen, und
die Geschichte würde früher oder später doch bis zur Presse durchsickern, aber
bis dahin war das Begräbnis — so Gott wollte — wahrscheinlich schon vorbei und
Miss Hartler bereits ausgezogen, so daß sie nicht die Polizei zu rufen
brauchte, um die anstürmenden Horden zu kontrollieren.
Gemeinsam gelang es ihr und Bittersohn,
ihr Grüppchen nach draußen zu manövrieren und zu dem eleganten Wagen zu
geleiten, der um die Ecke parkte. Miss LaValliere schlug vor, irgendwo
anzuhalten und etwas trinken zu gehen, und war völlig niedergeschmettert, als
sie erfuhr, daß sie schnurstracks zur Tulip Street gebracht und einfach auf dem
Bürgersteig abgesetzt wurden, während Mr. Bittersohn allein in die Nacht hinaus
fuhr. Sarah war auch nicht gerade glücklich darüber, aber momentan hatte sie
sowieso keinen Grund, glücklich zu sein.
Kapitel
20
S arah blieb unten, nachdem sie zu Hause
angekommen waren, nicht, weil sie es wollte, und auch nicht,
Weitere Kostenlose Bücher